Wenn du richtig tippst oder ein bisschen schneller im Ziel einfährst, dann hast du gewonnen. Größer, weiter, höher. Von Erfolg gekrönt und vom Glück geküsst. Mit mehr Talenten ausgestattet oder fleißiger gelernt, strebsam und ehrgeizig statt lethargisch und uninspiriert. Gesund und nicht krank, besser ernährt und nicht hungrig, tüchtig – nicht faul. Reich und nicht arm, durchtrainiert und stark statt schlapp und schwach. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wer nicht bereit ist zum Kampf, der hat schon verloren. „Ich habe Angst, eine durchschnittliche Mutter zu sein. Und aus Kapazitätsgründen eine ebenso durchschnittliche Autorin, eine durchschnittliche Freundin, ein durchschnittlicher Mensch“. Das ist die Logik der Selbstoptimierung, des Kapitalismus, der Konkurrenz und des Wettbewerbs.
Wenn von den 15 Minuten Tagesnachrichten – 5 Minuten Katastrophe, 5 Minuten Politikversagen – noch 5 Minuten für Sport bleiben; dann bekommen wir eine Ahnung davon, welchen Stellenwert dem Eifern um den Rang und den Sieg gesellschaftlich beigemessen wird. Es wird dem Sport und dem Wettkampf ein enormer Raum zugestanden und uns damit suggeriert, es hätte Belang. Warum ist das so? Wieso haben Rennen und Meisterschaften, Medallien und Auszeichnungen einen solch hohen Stellenwert? Und auf welcher Grundlage trifft die Redaktion die Auswahl? Wer entscheidet, ob es nun gerade Formel I oder Basketball, Frauenfußball oder Tennismatch in die Nachrichten schaffen und in welchem Umfang?
Und was haben Nationalstaaten eigentlich zu tun mit der sportlichen Leistung eines Menschen? Wie kommen eigentlich Nationalmannschaften zustande und woher kommt die Vorstellung es müssten Nationalstaaten gegeneinander antreten, bei Teamsportarten sowieso, aber bei der Olympiade auch die Athlet*innen verschiedener Disziplinen. Letztendlich sind es die Staaten, die ihre Auszeichnungen in Gold, Silber und Bronze zählen. Stolz blicken die Völker auf ihre Gladiator*innen, spornen sie an, bilden Fanclubs, eifern mit, im Ohrensessel schnaufend oder im Stadion in Action. Wer hat den Menschen diese Identifikation und Verbundenheit mit einander beigebracht? Woher kommen diese Gefühle der Solidarität, ganz ohne Befehl oder Abhängigkeit. Als wäre es die natürlichste Sache der Welt, sich hinter eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Spielern zu stellen und sie anzufeuern, Fahnen schwenkend, singend und grölend. „Mega“ ist das Spiel gewesen, „super Stimmung“. So schreiben wir immer wieder Geschichte und der Blutdruck steigt zusammen mit der wachsenden Begeisterung – in der Aufregung. Aus dem individuellen Schicksal nicht verlieren zu können wird ein kollektives Erlebnis, über die anderen, verdient – oder auch weniger verdient – gesiegt zu haben. Wir müssen uns nicht alleine fühlen sondern sind miteinander vereint für die Dauer des Spiels, im Kampf gegen die gegnerische Mannschaft. Natürlich geht es darum, besser zu sein als die anderen. Das gut sein reicht nicht aus, denn es zählt letztendlich der Sieg. Und der Sieg ist durch List, durch eine überlegene Strategie, eine ausgereifte Taktik, in Kombination mit Mut, Durchsetzungswillen und Kunstfertigkeit zu erreichen. Wahre Leistung kommt immer erst im Wettkampf zum Vorschein unabhängig davon, wie lange und wie intensiv zuvor trainiert oder geübt wurde.
Wir tragen den Kampf in der Arena hinein in unseren Alltag, in Streben um die besseren Noten, den Schulabschluß, das Zeugnis, hinein ins Bewerbungsgespräch und an den Arbeitsplatz. Im Verkehr drängt es uns nach Vorne und wir wollen schneller am Ziel sein als die anderen. Darum tun wir uns schwer darin, den anderen die Vorfahrt zu lassen, den Vortritt zu gewähren, zu warten, uns hinten an zu stellen, Zeit zu verschwenden, eine Bahn zu verpassen. Wir wollen nicht mehr bezahlen, sondern mehr haben und es billiger bekommen. Es zählt nicht, was den anderen bleibt, sondern was wir selbst schaffen und horten. Es fühlt sich gut an, wenn wir wahrgenommen werden, wenn wir schlauer sind und geschickter. Wir sammeln Badges und strahlen, fühlen uns wertgeschätzt und geliebt, bekommen Auszeichnungen und Zuwendung, Preise und Trophäen.
Ich nehme nicht an, dass es schon immer so war und in allen Kulturen gleichermaßen ausgeprägt. Dieser Hang zum Contest, diese Freude daran zuzusehen, wie sich andere streiten und ihre Kräfte messen. Irgendwie beschleicht mich der Verdacht es gäbe bestimmte Gruppen und Akteure, denen es nicht ganz unrecht ist, wenn sich Konkurrenz breit macht. Denn Konkurrenz spornt zu Leistung an und Leistung ist verwertbar. Wer haben will und bereit ist dafür etwas zu tun, kann gebraucht werden, denn er wird bereit sein, Einsatz zu zeigen. Wer dagegen keine großen Erwartungen hegt und es zu nichts bringen will, dem lässt sich auch schwerlich etwas verkaufen, der lässt sich schlecht motivieren etwas zu tun, Zeit zu investieren oder Energie aufzuwenden.
Über gewundene Asphaltstraßen brettern die Formel I Piloten, machen Lärm, verschleudern wertvolle Ressourcen, im schlimmsten Falle fliegen sie aus der Kurve und produzieren Schäden, aber nach gewonnenem Rennen spritzt der Schaumwein und fesche Mädels posieren für die Kamera. Die Helden werden gefeiert, als Sieger scheint es beinahe schon egal, zu welchem Unsinn man sich hat hinreißen lassen, um eine Auszeichnung zu bekommen. Hauptsache Spass und wenn der dann auch noch gut bezahlt oder monetär honoriert wird – umso besser. und dahinter stecken Vereine, Clubs, Sponsoren, Verbände, Oligarchen, Werbestrateg*innen, die alle Profit daraus schlagen wollen.
Viele dieser Geschäfte sind männlich dominiert auch wenn gerade ein neuer Markt mit weiblichen Gladiator*innen im Wachsen begriffen ist und im Management auch die ein oder andere Frau angetroffen werden kann. Der Wettstreit als solches hat etwas männliches, auch wenn inzwischen viele Frauen mit eifern und sich eingelassen haben auf das Ringen und Fechten um den Sieg. Gleichberechtigt drängen sich die Heldinnen um Anerkennung und auf dem Feld von Ruhm und Ehre. Der Schönheitswettbewerb, Miss America, die Quiz-Show, wer kann mehr Fragen in kürzerer Zeit richtig beantworten, reicht alleine nicht mehr aus. Auch am Ball, auf dem Pferderücken und im Kampfjet findet die Frau ihren Platz und macht sich bereit, ihre Kräfte mit anderen zu messen.
Weder Aufklärung noch Säkularisierung haben uns befreien können vom Zauber der Arena. Befreien konnte sich ein großteil der Menschen noch immer nicht aus der Fessel der Direktoren, der Autokraten, der Potentaten und Magnaten. Denen gelingt es weiterhin erfolgreich, sich den Blicken der Neider und armen Schlucker zu entziehen. Wir schätzen sie, weil sie in unseren Augen wie Sieger daherkommen und lassen uns von ihren Erfolgen inspirieren. Oder wir nehmen sie kaum wahr in ihrem Handeln und Tun, denn sie verfügen über die besseren Strategien, sie lassen für sich arbeiten, bedienen sich der liberal verfassten Erzählung vom Stärkeren, vom Gewinnen und Verlieren, fein verpackt in abenteuerliche Geschichten von Heldentum und Einzigartigkeit, von Erfolgsfaktoren und Innovationsfreudigkeit. Sie kapern gerne jeden gutgemeinten Ansatz, von der Nachhaltigkeit zur großen Transformation und machen daraus eine Success-Story, ein Game, ein Event, bei dem sich das Mitmachen lohnt und im Wettbewerb um die besten Ideen sich die kreativen Geister auszeichnen können. Gefangen im Netz, wieder Beute. Ein paar wenige fahren die Ernte ein, schöpfen den Mehrwert ab, verstecken sich in ihren Villen und haben es schon immer gut gemeint mit dem Volk das auf dem Rasen hinter dem Ball herläuft oder sich beim Feierabendbier mit der Mannschaft solidarisiert.
Wir spielen gern und lernen am Besten wenn es Spaß macht. So wird es gesagt, doch in Wahrheit ist es anders herum. Eigentlich lernen wir am Nachhaltigsten aus Fehlern, wenn wir uns nämlich verbrennen oder uns etwas nicht einfach glückt. Erst wenn der letzte Baum gestorben ist, werden wir begreifen, dass Geld nicht gegessen werden kann. Erst wenn Menschen im Feuer verbrannt oder in der Flut ersoffen sind werden wir über Maßnahmen zur Vermeidung von Großbränden nachdenken und Dämme höher bauen. Erst wenn die Menschen sich aus den Städten zurück aufs Land begeben, werden wir die Städte lebenswerter gestalten. Erst wenn Aufruhr herrscht werden die Preise für Grundnahrungsmittel gedeckelt. Viele wissenschaftliche Publikationen werden gar nicht zur Kenntnis genommen solange noch kein Leidensdruck herrscht. Im Wettbewerb um gute Ideen geht es nämlich auch vornehmlich um Geld, um Nachfrage, Verwendungsmöglichkeiten, Absatzgelegenheiten, neue Produktionslinien und letztendlich um immer mehr Arbeit. Wer in diesem Sinne keine Leistung in der Lage ist zu erbringen, der ist nicht gefragt. Wir sind in Konkurrenz und kein gemeinwohlorientiertes Unternehmen. Es sei denn es stimmt, dass, solange jeder an sich denkt wir noch immer das gesamtgesellschaftlich beste Ergebnis für alle erzielen. Das bleibt aber weiterhin Glaubenssache, denn, wenn es nicht eine große Anzahl von Menschen gäbe, die Sorgearbeit und Pflege, Rekreation und Dienstleistung zu ihrer Aufgabe gemacht hätten, dann sähe es sehr traurig aus in unseren Nachbarschaften, in unserem Zuhause und in den Strassen.
Eigentlich wissen wir das nur allzugut. Wer es sich leisten kann, der verdrängt es gerne und neigt zu Überschwang, Spass, gutem Essen, kultureller Befriedigung, schönen Reisen, Erholungsriten und Eigenheim. Wer von der Pflege und Sorge abhängig ist, sehnt sich nach Aufmerksamkeit, Zuwendung, Wertschätzung und Gemeinschaft, ist aber oftmals nur eingeschränkt in der Lage den geforderten Beitrag zu erbringen. Schwäche und Instablilität, Ängste und Scham halten einen ab vom Eintritt in den Ring, von der Offensive und vom Wettbewerb. Nicht jeder kann ein Held sein und vor dem Lebensende seine ganz besondere Superpower entdeckt haben. Manche sollten auch einfach das Recht haben dürfen, schwach zu sein, Mängel zugeben zu dürfen, zuzuschauen. Wir brauchen doch keine Superpower, um teilhaben zu dürfen am Leben, an der Gemeinschaft, um Anerkennung als solches erwarten zu dürfen. Viel zu viel muß gegenwärtig bewiesen und soll zur Schau gestellt werden. Wer es schafft sich diesen Ansprüchen gänzlich zu entziehen, kann sich glücklich schätzen. Das macht frei und wirkt beruhigend. Funk und Fernsehen, Werbung und Internet sorgen aber ohne Unterbrechung dafür, dass wir über uns nachdenken und fragen, ob wir es auch richtig machen, es nicht besser gewesen wäre wenn und bieten Rat wie sich etwas optimieren ließe. Darum geht es doch schließlich. Wir wollen und sollen lebenslang lernen um alles erdenkliche möglichst immer besser zu machen.
Versteh‘ mich nicht falsch: ich habe nichts gegen Leibesübungen, sportliche Ertüchtigung, Bewegung, geistiger und körperlicher Art. Sich fit zu machen und stark, resilient und agil zu sein, sind gute Voraussetzungen, um zu überleben. Wer leistungsfähig ist kann einen größeren Beitrag leisten zum Gemeinwohl, darf Anerkennung erfahren und wird wahrgenommen. Wer Dinge bewegt wird auch Entscheidungen treffen wollen, wird repräsentieren dürfen und bei manchen Wahlen besser abschneiden als diejenigen, die nur zu reden verstehen und große Worte machen. Daraus sollten aber zwei Konsequenzen nicht resultieren: Der Wettstreit um die sogenannten besten Ideen und der fortwährende Kampf um die guten Noten. Es bereichert uns als Gemeinschaft nicht sondern lässt die Massen verarmen. Wie zur Selbstbefriedigung lassen wir uns auf Quiz und Schatzsuche, gegenseitige Lobhudelei und immer neue Preisausschreiben, Gewinnverheissungen und Lotterien ein. Die Verführung kann in der Spielsucht enden und einer Infantilisierung der Gesellschaft.
Ich muss auch keinem den Spaß nehmen wollen. An jedem Wochenende strömen die Fans zusammen und amüsieren sich, genießen die kollektive Begeisterung, genießen das Bad in den ausgeschütteten Serotoninen und eifern mit ihren Helden. Wie schnell aber kann die Lust kippen, die Niederlage auf das Gemüt schlagen und Ärger und Haß auf die gegnerischen Kämpfer sich breit machen, um zerstörerische Kräfte freizusetzen. Dann sieht man die enttäuschten Fans durch die Gassen ziehen. Ob Niederlage, unterdrückte Wut oder lange zurückgehaltener Neid: Brechen sie einmal los, dann gilt es sich schnell in Sicherheit zu bringen und dem blinden Mob nicht in den Weg zu treten. Frustrierte Verlierer sind unangenehme GenossInnen und sollten möglichst nicht zu viel produziert werden. Darum stehe ich dem Eifer und dem Wettbewerb grundsätzlich kritisch gegenüber.