„Bist du schonmal draußen gewesen?“ ist eine der Fragen, die mich immer stutzen lässt. „Ich weiß gar nicht, ob ich jemals wirklich drinnen war“ ist die Antwort, die ich darauf am liebsten erwidere. Was soll die Frage? Im Kreise der Expats will das fragende Subjekt gerne wissen, ob die gefragte Person schon über einen längeren Zeitraum in einem Land gelebt hat, dessen Staatsbürgerschaft sie nicht hat oder mit der sie sich kulturell nicht identifiziert. Im Grunde genommen wird aber deutlich suggeriert, dass von einem Drinnen und einem Draußen ausgegangen wird, einem Inland und einem Ausland. Es könnte also entsprechend gefragt worden sein „hast du schonmal im Ausland gelebt?“ Dabei geht es nicht um einen Kurzzeitaufenthalt, eine Reiseerfahrung oder einen Urlaub, sondern um einen längeren Aufenthalt von deutlich mehr als einem Jahr und in der Regel auch in Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit.
Gastarbeiter sind rein strukturell gesehen auch nichts anderes als Expats, im weiteren Sinne Arbeitsmigrant*innen. Interessanterweise schließen sich aber die Konzepte Expat und Gastarbeiter wiederum aus. Denn Gastarbeiter*innen sind Arbeitskräfte, die über Anwerbeverfahren ins Inland geholt werden, weil in bestimmten Berufssparten Arbeitskräftemangel herrscht. Expats dagegen sind eine besondere Form der Entsandten, zum Teil im diplomatischen Dienst oder in der Vertretung eines größeren Unternehmens im „Ausland“ tätig oder aber im Bereich der internationalen Zusammenarbeit als sogenannte Fachkräfte, finanziert aus Mitteln der sie beauftragenden Gesellschaft oder einer Organisation. In der „Entwicklungshilfe“ und in der Missionsarbeit kennen wir seit Jahrzehnten dieses Konstrukt, womit die industrialisierten, und sich als „entwickelt“ bezeichneten Länder, sich den „Entwicklungsländern“ als Partner anbieten und „Hilfe“ leisten. Im Prinzip ist der Expat nichts anderes als ein zeitlich befristetes Exportgut. Es wird eine Dienstleistung exportiert. Was allerdings auch wieder nicht stimmt, denn es werden damit keine Devisen generiert. Denn für Expats zahlt in der Regel das Ursprungsland. Anders bei Gastarbeitern. Die setzen ihre Arbeitskraft um in Lohn und schicken einen Teil davon zurück in ihr Herkunftsland. Rücküberweisungen tragen vom finanziellen Umfang her mehr zur Entwicklung eines Landes bei als die ganze Official Development Assistance (ODA) wurde vor einigen Jahren mal postuliert. Inwiefern das letztendlich stimmt, überlasse ich akademischen Kreisen und qualifizierten Instituten zu beurteilen.
Das Ausland liegt außerhalb der im Kopf gezogenen Grenzen, durch die Staatsgrenzen manifestiert und die Staatsangehörigkeit reglementiert. Mit einem gültigen Dokument, in der Regel einem Pass oder einem Personalausweis, gelangen wir über die Grenze in das benachbarte Ausland. Meine Generation und die Generationen danach haben sich, sofern sie in Mitteleuropa zuhause sind, daran gewöhnt, dass bei Grenzübertritten nicht unbedingt Reisedokumente vorgezeigt werden. Sich ausweisen ist nur an Flughäfen erforderlich und für manche Länder bedarf es eines Visums. Doch bis vor ein paar Jahren war auch Großbritannien innerhalb der europäischen Gemeinschaft und der Grenzübertritt wenig spektakulär. Inzwischen aber stellen viele unerfahrene junge Reisende, die vollkommen unvermittelt an der Grenze von Großbritannien stehen, fest, dass ihnen Reisedokumente fehlen. Und mit der wachsenden Zahl europäischer Länder, die sich angehalten sehen, ihre Grenzen zu schützen, wächst der Druck auf die Reisenden, ob saisonale Migranten oder Geflüchtete, ob wanderndes Volk, Nomaden alter oder neuer Ordnung, weil Grenzen immer weniger durchlässig werden. Das Schleppergewerbe gewinnt an Attraktivität, Menschenhändler sehen ihre Gewinnmargen wachsen, denn wer mal über eine Grenze geschmuggelt wurde, kann auch nicht mehr so einfach zurückkehren.
Eine Grenzkontrolle war vor noch nicht allzu langer Zeit innerhalb Europas üblich und für alle, die nicht gerade über einen dieser vorteilhaften Staatsbürgerschaften wie Deutschland oder Niederlande verfügten, war dann auch schnell mal eine Reise zu Ende, wenn das geforderte Visum nicht vorgelegen hat. Für Deutsche war das Ausland schon seit der Mitte des letzten Jahrhunderts eine mit nicht allzu großen Hürden zu erreichender Ort. Auch wenn sich nicht alle Länder dieser Erde gleichermaßen problemlos bereisen ließen. Mal erforderte es einen größeren Aufwand, um ein Visum zu erwerben, mal mussten Transitvisa besorgt werden und war der Aufenthalt auf wenige Wochen beschränkt, doch gegen Ende des 20. Jahrhunderts ließen sich mit etwas Vorbereitung ein Großteil aller Länder besuchen. Im Vorteil waren dabei immer diejenigen, die entsprechende Barmittel nachweisen konnten oder einen Auftrag hatten. Traveller Checks oder der US-Dollar waren beliebt, wenn Reisen in Gegenden führten, wo es noch keine Bargeldautomaten gab und Geld auf dem Markt oder in einer Bankfiliale getauscht wurde. Für längere Aufenthalte konnte eine Einladung hilfreich sein und von Urlaubern wurde auch schon gefordert, Angaben zu machen zu Hotel oder Reiseziel. Einfuhr und Ausfuhr wurden kontrolliert, wohl immer unter dem Aspekt, bringe möglichst viel rein in mein Land aber nimm nichts mit, was wir selbst brauchen könnten.
Die Reisefreudigkeit der Deutschen hat seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in einer Weise zugenommen, die sich heute gegenüber den gerade volljährig werdenden jungen Menschen überhaupt nicht beschreiben lässt. In den 60ern ging die Reise noch über die nächstgelegene Grenze. In Süddeutschland in die Berge und in Norddeutschland an die Nordsee. In den 70ern stieg die Anzahl der Menschen, die die Urlaubszeit nutzten, um aus dem Norden in die Berge zu fahren und aus dem Süden an die See. Besonders exotische Reisen führten einen dann an das Mittelmeer oder auf Mittelmeerinseln. Mit dem Automobil stieg die Mobilität und auch Familien unternahmen schon mal eine Reise nach Italien oder Jugoslawien. Ein paar Extravagante suchten dagegen den Weg in den Norden und Osten, die baltischen Länder, Skandinavien – eher unorthodoxe Waldläufer und Angler.
Wie schon in früheren Zeiten gab es natürlich schon immer Abenteurer, die in die Welt hinauszogen, kleine Gruppen von Ausreißern, die Landwege nach Indien erkundeten oder in Nicaragua sich dem Befreiungskampf anschlossen, aber Griechenland und Spanien und das schon viel früher durch die Tourismusbranche erschlossene Mallorca wurden erst ab den 80er Jahren zum Reiseziel für das Kleinbürgertum und den Mittelstand Deutschlands und der Niederlande. Wer in den 80ern nach Afrika aufbrach, war noch etwas außergewöhnlich unterwegs. Was Indonesien und Suriname für die Niederlande war, das waren Namibia und Tansania für Deutschland. Heute fliegt dagegen Hinz und Kunz für 10 Tage nach Thailand oder Ecuador, Tauchen im Roten Meer, Sansibar, Kapverdische Inseln, Marokko oder Algier. Die Pauschalreise hat es möglich gemacht und wer will kann in einem Club in Senegal auch Ferien verbringen, ohne jemals wirklich mit Afrika in Berührung gekommen zu sein. Eine Safari in der Serengeti erfordert heute keine langwierige Vorbereitung mehr und bringt als größtes Risiko vielleicht noch eine Verspätung des ICEs bei der Anfahrt zum Flughafen Frankfurt mit sich.
Aber ins Ausland soll es gehen: „Die Gespräche drehen sich um die Kinder, um den Beruf und natürlich um den Urlaub. Die Planungen für das neue Jahr sind in vollem Gange. Es ist wie ein Wettbewerb, bei dem jeder den andren in der Entfernung des Urlaubsziels übertreffen möchte. Es wird geflogen, als gäbe es keinen Klimawandel. Das Fernweh ist groß. Und doch war es an vielen Zielorten im letzten Jahr so heiß, dass es wirklich keinen Spaß gemacht hat, am Strand zu liegen oder Ausflüge zu unternehmen. Wie ärgerlich. Zum Glück war das Hotel klimatisiert“ (Udo Kords, Diskrepanz zwischen Wissen und Wirken).
Das Inland verliert inzwischen immer weiter an Attraktivität. Warum sollten wir im Inland umherreisen? Fremde werden mit wenig Wohlwollen empfangen. Einreisen sollen erschwert werden. Durchreisen wird noch geduldet. Die Rückführung wird gefordert. Manche wollen die Migration und den Zuzug per Gesetz kontrollieren, andere stellen 10 Punkte Programme zur Diskussion. Das Inland leidet an Überfremdung. Knapp 7 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund können bei der Bundestagswahl 2025 ihre Stimme abgeben. Das sind 12 Prozent aller Wahlberechtigten. „Eine Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) zeigt, dass sich knapp ein Fünftel der Menschen mit Wurzeln in der Türkei, in Nahost oder Nordafrika vorstellen kann, die AfD zu wählen“ (wochentaz, unterschätzt und vernachlässigt). Kein Wunder, wenn diejenigen, die sich das leisten können, sich ins Ausland absetzen. Die Frage ist nur, wessen Staatsbürgerschaft und Pass wohin trägt und wie weit eine zuverlässige und vertrauenswürdige diplomatische Vertretung im Ausland deine Interessen vertritt. Glaub bloß nicht, das russische Konsulat wäre dir eine Hilfe, wenn du als fahnenflüchtiger Russe bei der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs ohne gültigen Fahrausweis angetroffen wirst. Im Ausland ist es nur dann wirklich gut, wenn deine Kreditkarte gedeckt ist und dein Aufenthaltsstatus geklärt. Sofern diese Voraussetzungen nicht gewährleistet sind, wenn du dir illegal Zutritt in das Ausland verschafft hast und über keine Rückreiseversicherung oder Krankenversicherung verfügst, dann kannst du nicht beneidet werden. Rückführungsprogramme sind keine Gruppenreisen mit Stadtführung und Abendanimation. Abschiebung ist unangenehm. Schlimmstenfalls kommt sie überraschend.
„Dass jetzt auch noch Migration das dominierende Wahlkampfthema ist, das stößt vielleicht auch unter einigen Menschen mit Migrationsgeschichte auf Zustimmung. Viel mehr von ihnen dürfte es weiter von den demokratischen Parteien entfremden, dass ein wichtiger Teil ihrer Biografie vor allem als Problem diskutiert wird. Und das noch lange über den aktuellen Bundestagswahlkampf hinaus.“ (Volkan Ağar, unterschätzt und vernachlässigt). Kein Problem, wenn ich einen gültigen Reisepass habe, würdest du meinen, aber was, wenn ich eine dunkle Hautfarbe hätte, Rastalocken oder ein Kopftuch trage, mir den Kopf mit einer Kippa oder einem Palästinensertuch bedecken würde? Der Pass stünde mir zu, die Staatsbürgerschaft hätte ich erworben, aber am AfD Stand im Erzgebirge werde ich definitiv als Ausländer gelesen. Wahrscheinlich müsste ich dafür nicht so weit gehen. Schon in Ebingen auf der Schwäbischen Alb würde ich eher gefragt werden, woher ich eigentlich käme als wo ich wohl Medizin studiert hätte.
Ausland ist relativ. Die Frage ist von wo aus du schaust. Die Schwaben mögen sich in Berlin zuhause fühlen, weil Preußen. Aus Sicht der Berliner führen sich Schwaben bisweilen wie Ausländer auf. Für Sachsen ist Kreuzberg brutales Ausland. Für manch konservativ konfessionell geprägtes Landvolk ist die Beueler Weiberfastnacht ein so fremdes wie buntes Treiben und hat mit Deutschland weniger zu tun als mit Rio de Janeiro. Du kannst dich in den Karneval verlieben und die Rheinländer lassen das zu, denn Beuel ist bunt und wird dich schnell integrieren – solange du das mitmachst und Spaß an Kamelle hast, Schiffchen auf dem Kopf, Stadtsoldaten und Orden. Aber wenn Amerikaner Oktoberfest, Dirndl, Bratwurst und Sauerkraut als deutsches Kulturgut betrachten, werden Hölderlin, Handke und Humboldt wahrscheinlich befremdet die Augenbraue hochziehen. Kult und Kultur machen an der Landesgrenze nicht Halt. Mancher Brauch in Siebenbürgen Sachsen und das grundlegende Selbstverständnis der Siebenbürgen lässt vermuten, dass mehr Unterschiede vorherrschen zwischen Moldauern und Siebenbürgen, beides Volksgruppen einer Nation, als zwischen Schwaben und Siebenbürgen-Sachsen. Die einen gelten als ernsthaft, fleißig und bodenständig, bzw. humorlos und wenig kreativ, die anderen dagegen wissen das Leben zu genießen, werden als Macher bezeichnet, sind smart, gewitzt, einfallsreich und vor allen Dingen erfolgreich. Sehen wir uns nur die Bayern im Gegensatz zu den Schwaben an, die Katholiken im Kontrast zu den Calvinisten. Was heißt da noch „bist du mal draußen gewesen?“ Die Frage ist „wohin gehörst du?“ Was bist du bereit mitzumachen? Wer duldet dich und wie lange bekommst du Aufenthaltsrecht? Mit welcher Leistung verdienst du dir ein Auskommen und zahlst du Steuern?
Wo sollten wir Grenzen ziehen – in der Ukraine, in Palästina, in Rumänien oder Deutschland? Und wer soll das machen? Laut Artikel 2 Absatz 4 der Charta der Vereinten Nationen heißt es: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Und wohin sollten diejenigen dann gehen, die mit dem Deal, den Autokraten und sich selbst ermächtigende Volksvertreter („Make Gaza beautiful again“) unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgehandelt haben, nicht einverstanden sind? Dass Menschen sich in ihrem Land nicht mehr zuhause fühlen, liegt womöglich an einer Sehnsucht nach Identität und weniger an rationalen, materiellen Interessen. Ein realer Souverän kann den wahnhaften Wunsch nach Volkssouveränität, also einen unmittelbar verfügenden Willen des Volks gar nicht einlösen. Einem gleichermaßen völkisch-rassistischen Wahn ist allerdings auch nicht durch eine sozialere Politik beizukommen. Stattdessen wäre wieder über das Falsche in der bestehenden Gesellschaft zu sprechen, ohne sich zugleich, wie es die Rechte tut, der Verantwortung für ihr Funktionieren zu entziehen (Leo Roepert, Kritische Theorie der extremen Rechten).
In diesem Sinne ginge eine demokratische Migrationspolitik davon aus, dass die Betroffenen selbst bei der Gestaltung einer Gesellschaft inklusive ihrer Verwaltung, ihrer Vertretungen, ihrer Infrastruktur und des öffentlichen Raumes mitreden sollten. Wir sollten verstehen, dass Menschen- und Bürgerrechte nicht bloß hoheitliche Zugeständnisse sein müssen sondern Selbstverständlichkeiten. In einer Welt, in der nicht nur die Wohlhabenden, die Besitzenden, die Rentiers und die Erben das Sagen haben, sind alle Betroffenen zu Teilhabenden an den Entscheidungen darüber zu machen, wie das Zusammenleben organisiert ist und wer wo und wie zusammenlebt. Das beginnt bei dem Wissen um die schlichte historische Realität der Migrationsgesellschaft Deutschland und entfaltet sich darin, dass die Migrationsbewegungen aus kommenden Bürger*innen bestehen (Migration und Demokratie, wochentaz).
„Entgegen der Globalisierungserzählung nimmt die Zahl der befestigten Grenzen immer mehr zu. Besonders dort, wo das Wohlstandsgefälle besonders groß ist, werden Mauern gebaut. Auf den ersten Blick scheint diese Bestandsaufnahme wie ein weiterer Beweis für das Ende der Globalisierung und das Wiedererstarken von territorialen Logiken“, schreibt Jonas Wahmkow in seinem Artikel „Globaler wird’s nicht“ in der wochentaz vom 15.-21. Februar 2025 und verweist weiter auf den Soziologen Steffen Mau, der dies kommentiert mit der These vom rasanten Ausbau von Grenzinfrastruktur als Folge einer weltweit steigenden Mobilität. Waren früher Grenzen dafür da, ein nationales Territorium von dem anderen abzugrenzen, so funktionieren sie heute vornehmlich als „Sortiermaschine“, die erwünschte Menschen reinlässt und unerwünschte ausgrenzt. Menschen reisen immer mehr, werden immer vernetzter, gleichzeitig schotten sich Nationalstaaten weiter ab und pochen auf ihre Souveränität.
Dabei sollte allen klar sein, dass sich eine Gesellschaft mit der Stimmungsmache gegen Zugewanderte, Eingebürgerte und Staatsbürger, die nicht aussehen, wie sich manche indigenes Aussehen (Eingeborene) vorstellen, viel verbauen. Das Bewusstsein für den demographischen Wandel sollte dazu führen, Menschen willkommen zu heißen. Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben und bereit sind, sich dem Prozess des Ankommens zu stellen, die Einreisebedingungen erfüllt, die Verteilung überstanden, das Asylverfahren abgeschlossen, die Ausländerbehörde, die Erstaufnahme-Einrichtung, die Flüchtlingsunterkunft, die Flucht, die Überfahrt und alles, was sich ihnen als Grenze in den Weg gestellt hat überwunden haben. Ausland muss nicht schlecht sein. Ausland darf willkommen heißen. Wer willkommen ist wird sich schneller bemühen einen Beitrag zu leisten und sich bei Wahlen in Verantwortung für oder gegen etwas entscheiden. Warum verstummen inmitten eines lärmenden, oft verzerrten Diskurses über ein Thema, das in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft eine tiefe emotionale Erregung hervorruft? Wie lange noch wollen wir unsere Vorstellung von Land und Leuten missbrauchen, um Ausländer gegen was eigentlich abzugrenzen. Ich habe noch niemanden sprechen hören von Inländern, sondern kenne nur den Begriff der „Deutschen“. Das Deutschsein wiederum ist so unspezifisch, weil es verschiedene Volksgruppen innerhalb und außerhalb einer Staatsgrenze zusammenfasst, die sich selbst nur in sehr wenig Charakteristika entsprechen. Sie mögen eine Nationalität haben, eine Sprache sprechen, eine Rentenversicherungsnummer und einen Wohnort vorweisen können. Irgendwann werden sie ähnliche Schulabschlüsse gemacht, einen Führerschein ein Schwimmzeugnis und einen Erstehilfekurs abgeschlossen haben. Wir sollten es vermeiden, die bereits integrierten, hier geborenen und aufgewachsenen Mitglieder einer Gesellschaft, ob Arbeitnehmer oder Unternehmer, Steuerzahler oder Sozialhilfeempfänger, zu vergraulen und gegeneinander auszuspielen.
Ob ich nun jemals wirklich Drinnen gewesen bin, wo ich mich weder mit Volkssport wie Fußball und Handball noch mit einer sozialen Schicht beim Golf, Tennis oder Gesellschaftstanz abgegeben habe, wo ich nicht zur Kirche gehe und in keine Moschee, weder den Karneval zelebriere noch mich dem Deutschen Fahrradclub angeschlossen habe. Mir sind so viele kulturelle Eigenarten deutscher Identität bis heute fremd und habe es inzwischen auch aufgegeben mir Gefallen an Oktoberfest und Volksfesten zu verordnen. Mir sind die deutsche Automobilindustrie und die Werteunion ein Graus, die Effizienz und Wirkungsmessung, von Selbstverwirklichung bis Selbstwirksamkeit von Grund auf im Widerspruch zu Wissen und Wirken. Sich für den Schutz der Erde zu positionieren, die Suche nach Lösungen aber anderen zuschieben, ist unredlich. Ich bin Teil des Problems. Wir tragen die Verantwortung. Es gibt für mich kein Drinnen und Draußen. Fast überall wo wir sind, ist Ausland. Es ist schön, einen Ort zu haben an den zurückzukommen eine Freude ist. Niemandem will ich diese Erfahrung nehmen. Aber es ist viel gefordert in einer Zeit, in der viele von uns am liebsten davonlaufen würden. Und selbst wenn wir es uns aus rein materieller Sicht leisten könnten, so unterlassen wir es doch und geben nicht gleich die Hoffnung auf. Denn an der Lösung können wir mitwirken. Und das ist unsere gemeinsame Verantwortung. Vor dem nächsten Auslandsaufenthalt darüber nochmal nachdenken, das wäre meine Forderung und Botschaft. Und gleichzeitig auch eine Frage der bevorstehenden Bundestagswahl.