Was wenn ich Scholz wär‘? Ich hätte es mir nicht ausgesucht. Aufgrund irgendeiner Vorsehung bin ich es geworden. Ich müsste dafür nicht im Sahel gewesen sein. Ich wüsste aber wie oft, in Südafrika, in Südkorea und auch wie viele Kinder ich mit verschiedenen Frauen hätte. Aus der Kirche ausgetreten, ist mir nicht fremd. Aber wie und wo ich zuletzt Urlaub gemacht habe, davon könnte ich mehr erzählen. Und dass ich gerne Sachbücher lese, das ist kein Geheimnis. Auf meiner Website erkläre ich, dass ich auf Flügen Gelegenheit habe zu arbeiten und mich mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mich begleiten, zu besprechen. Aber, weil das lange Flüge sind, muss ich mich auch mal ausruhen, schlafen, was essen. Das ist dann ein Moment, wo ich an andere Dinge denke, die gar nichts mit der Arbeit zu tun haben. Ob ich Alkohol trinke und wie oft, wenn ich Scholz wäre, könnte ich es sagen, es sei denn ich sagte es lieber nicht. Und ich wüsste auch, wo ich die Haustürschlüssel hingelegt habe. Aber, ich bin nicht Scholz und versuche nur, mich in seine Person hineinzuversetzen. Darum kann ich auch nicht viel sagen. Versuche ein Gespür dafür zu entwickeln, was es heißt, dieser Mensch zu sein. Ein Bundeskanzler. Ein Jurist. Ein Sozi. Von so vielen Menschen ungeliebt. Unter Wert angeboten. Oder überbewertet. Welche Antwort gibt es auf die Sonntagsfrage?
Frag‘ doch mal nach, die Menschen auf der Straße, unter Freunden. Tu so, als hättest du Sympathie für ihn – für mich – zeige dich. Hier bin ich und nehme alle Schelte an. Allen Unmut, alles Unverständnis, allen Zorn und den Hass auf die Staatsverräter. Ich bin, stellvertretend für alle anderen, euer Prügelknabe. Habe euch die Zeitenwende und den Doppelwumms gebracht. Das ist mehr als Hechel oder Flutsch. Es ist ein Boom! oder Wham! und trotzdem mögt ihr mich nicht. Bundeskanzler. Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland auf internationalen Bühnen. „Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor“ (27.2.2022). Die Nachrichten berichten schlecht über mich. Ich habe keine Eier in der Hose. Ich kann die Ampel nicht führen. Ich äußere mich nicht angemessen oder wunschkonform. Mache keine klaren Ansagen, auch wenn ich besondere Investitionsschwerpunkte setzen konnte: Die Eurodrohne, die Heron-Drohnen, die Aufrüstung des Eurofighter für die elektronische Kampfführung und die Beschaffung des Kampfflugzeuges F-35. Und schon fällt mir der Finanzminister wieder in den Rücken. Was bleibt mir letztendlich anderes übrig als ihm zu kündigen, bevor er mir das Genick bricht. Meine Rolle als Bundeskanzler fülle ich nicht aus, sagen Sie? Das mag schmerzhaft sein für mich, aber Gefühle darf ich nicht zeigen. Also, wie weit lasse ich es an mir abprallen oder abgleiten? „Ich danke allen, die in diesen Zeiten mit uns einstehen für ein freies und offenes, gerechtes und friedliches Europa. Wir werden es verteidigen“.
Auf meinem Kanal bei Instagram beantworte ich Fragen aus der Community. Es geht um funktionierende Infrastruktur, eine realistische Migrationspolitik, gute Löhne – und die Frage, was mir als Kanzler auf langen Flügen durch den Kopf geht. „Eigentlich“ durch den Kopf geht hätten meine Kommunikator*innen sich sparen können. Überhaupt, mir ist, als hätte ich bei der Personalauswahl eine nicht so glückliche Hand bewiesen. Wieso missglückt mir so vieles? Warum gelingt es mir nicht, die Botschaft zu vermitteln, um die es mir geht, um die es gehen sollte? Ich hatte es doch gedacht, warum wurde es nicht gesagt? Als würde mich keiner mögen, so kommt es mir vor. Aber, wenn dem so sei, dann wäre ich doch nicht Kanzler geworden. Mögen sie doch schreiben und sagen über mich, was sie wollen. Das ist der Presse verfassungsgemäßes Recht. Das ist die von uns aufrichtig vertretene Freiheit. Ich stehe für die Freiheit. Für die freiheitlich demokratische Grundordnung. Das ist die Freiheit, die ich vertrete. Und darum wurde ich gewählt. Und ich werde mich erneut zur Wahl stellen. Erst die Vertrauensfrage, dann die erneute Bundestagswahl und schließlich die Frage „wer wird Kanzler?“
Mag da ein Merz kommen und ein Wüst gediegen brüderschaftlich jovial erklären „grundsätzlich ja“. Wir müssen die Wirtschaft und die Sicherheit im Blick bewahren, zum Beispiel NRW: Viele Menschen, alter Industriestandort, in Transformation, viele Straßen, dichter Verkehr, Zuwanderung aus dem Westen und dem Süden, Sprachenvielfalt. Das sind Herausforderungen, über die wir sprechen sollten. Aber als Scholz, geboren in Osnabrück und aufgewachsen in Hamburg, mit 12 Jahren schon wusste ich, dass ich Bundeskanzler werden wollte, was sollte ich machen? Auch wenn Kommunikation mein Problem sein soll. Wollen mich die Leute nicht verstehen? Ich beschimpfe Journalist*innen. Und über so manche Bürger*innen könnte ich lachen, wenn mir das als Bundeskanzler gestattet wäre – ist es aber nicht, und darum kann ich in der Presse über mich lesen, dass ich mich ganz ungehörig lustig mache über Bürger*innen. Dabei ist das nicht so. Nicht so einfach.
Nun ist es aber leider doch so, dass die einfachen Menschen überhaupt nicht verstehen, worum es geht. Dabei geht es um Visionen, um Haltung, um Ziele, Versprechen, um Glauben und Hoffnung, nicht im religiösen Sinne, sondern im metaphysischen. Natürlich war es eine Karriere, die uns vorbestimmt, aber darüber hinaus doch noch einiges mehr. Da gibt es Menschen, die meinen ich säße meine Kanzlerschaft aus. Die irren sich. Ich habe mir vorgenommen, noch einmal zu kandidieren. Ob ihr nun einen starken Kanzler wollt oder einen mit Ansprüchen, einen, der bereit ist Brücken zu bauen, oder einen, der klare Kante zeigt, Mauern bauen und Grenzen abschotten will. Die Wahlen werden es schließlich zeigen, und die Zeichen stehen schlecht. Die Deutschen wollen starke Führer, die wortgewandt große Reden schwingen und dem Volk aufs Maul schauen, gleich noch danach reden und die Fahne in den Wind halten können. Dafür respektiere ich die Altkanzlerin Angela Merkel, dass sie von Hermann Gröhe bei der CDU-Party nach der Bundestagswahl die Deutschlandfahne abgegriffen (YouTube) und nicht mit ins Horn der Hetzer gegen Geflüchtete geblasen hat.
Dass ich von den derzeit zur Wahl stehenden Kandidat*innen der bessere bin – mal abgesehen von Söder als ein Musterexemplar des Populisten und Wüst als ein vielversprechender aber doch noch sehr junger Kollege auf der politischen Bühne wenngleich durchaus potenter Vertreter der bürgerlichen Moderne mit Anspruch und Wurzeln in der Geschichte des Konservativismus – daran herrscht doch kein Zweifel. Ich vertrete die Sozialdemokratie, das Soziale und die demokratischen Grundwerte. Ich bin Sozialdemokrat und stehe mit einigen treuen Genoss*innen ganz an der Spitze der sozialdemokratischen Bewegung in Deutschland. Ich bin den Kinderschuhen entwachsen, habe mir die Hörner als Jungsozialist abgestoßen und bin in der realen Welt der sozialen Marktwirtschaft mit seinen Lobbyisten und Monopolen, den internationalen Verflechtungen der Aristokratie, mal ohne lange einzugehen auf die grenzüberschreitend waltenden Oligarchen und Kleriker vollumfänglich angekommen. Was ich immer wollte, war Bundeskanzler und ich habe bewiesen, dass ich es kann. Eine Koalition habe ich angeführt, die Ampel mit verhandelt und gewandelt und mich nicht ohne Konsequenzen von einem Liberalen gängeln und vorführen lassen. Ich war und bin bereit weitreichende Entscheidungen zu treffen und das Gespräch mit Vertreter*innen von sich im Krieg befindlichen Nationen zu führen. Aber, ich erwarte auch Respekt gegenüber dem Land, das ich vertrete und ich will die Risiken für das Volk, das mir das Mandat gegeben hat, minimieren. Insofern werde ich auch weiterhin sehr behutsam eine Antwort auf die Frage welche Waffen und wie viele und bis wann die Volkswirtschaft, die ich repräsentiere, bereitstellt, um sich gegen Russland aufzustellen und zu bewaffnen. Strategie muss gelernt sein, Strategie muss nicht immer transparent sein. Geheimnisse verraten kann zu schweren Verlusten führen. Fairplay ist keine unbedingt von allen mitgetragene Eigenschaft, die sich durchsetzen wird, auch wenn wir gerne so tun als ob es so sein sollte. Mein Auftrag steht: Die Unterstützung der Ukraine in ihrer verzweifelten Lage, Putin vom Kriegskurs abbringen, Verhindern, dass Putins Krieg auf andere Länder in Europa übergreift, die eigene Verteidigungsfähigkeit herstellen und eine Zäsur der deutschen Außenpolitik.
Meine Grünen Freunde und Freundinnen machen bisweilen den Eindruck, als wäre ihnen der Planet als solches wichtiger als der Mensch. Als es nach dem russischen Angriff auf die Ukraine um die Gaspreisbremse zur Dämpfung der Energiekosten ging, meine ich mich an Grüne zu erinnern, die hohe Gaspreise befürworteten, weil diese dem Klimaschutz dienten. Wir dagegen haben uns entschieden 200 Milliarden Euro in die Hand zu nehmen, um Unternehmen und Bürger zu beruhigen, dass sie sich weiter im Winter Energie leisten können sollten. Auf dem Weg zur Rettung des Planeten dürfen wir nicht die soziale Sicherheit in Frage stellen und damit das Vertrauen in die Demokratie gefährden. Für mich stehen die Wirtschaft und unsere heimische Industrie, verlässliche Handelsbeziehungen zu starken Partnern im Vordergrund, denn ohne Mindestlohn und eine gesunde Verteilung des Wohlstandes verliert der Standort Deutschland an Attraktivität und das Wort dieser führenden demokratisch legitimierten Industrienation an Bedeutung. Mein Bestreben gilt dem Zusammenhalt einer Gesellschaft, die heute nicht mehr und nicht weniger als andere international agierende Global Player, sich gar nicht mehr singulär betrachten darf und die sich nicht abschotten kann gegenüber Migrationsbewegungen. Die Stärke einer Volkswirtschaft besteht doch auch gerade darin, dass sie attraktiv ist für andere. Käme keiner mehr nach Deutschland, wäre der Standort verloren. So wie ganze Landstriche zu veröden drohen, weil das gemeine Volk sich gegenüber Durchreisenden, Zugezogenen und den Eingewanderten verschließt, denen dann auch nichts weiter bleibt als sich erneut auf den Weg zu machen und damit weiterhin auf der Flucht zu sein.
Ich bedauere sehr, dass in den Medien und im Volk sich der Eindruck verbreitet hat, wir würden die Lage nicht mehr überblicken. Selbstverständlich können auch wir nicht aus der Glaskugel die Zukunft voraussehen und wenn auch ich es sehnlichst wünschen würde, dass Putin einem Schlaganfall zum Opfer fallen würde, so darf ich das doch weder äußern noch meine Politik darauf aufbauen. Ob es nun unbedingt geschickt wäre ihn deswegen regelmäßig anzurufen will ich auch nicht gerade annehmen und ich bedauere sehr, wenn es dann als Konsequenz meines Anrufes im Kreml ausgelegt wird, dass am Tag darauf Raketen auf die Ukraine abgefeuert werden. Würden die Raketen fliegen, nachdem ich nicht angerufen habe, käme doch auch keiner auf die Idee zu sagen, ich hätte doch mal wieder anrufen können. Nein, Politik muss man wollen und Bundeskanzler muss man können. Habeck könnte es auch. Merkel hat es auch gebracht. Kohl haben sie auch Kanzler sein lassen und wenn es so kommen muss, dann wird es Merz auch noch schaffen. Aber der ist doch ein Mensch, von dem wir nicht erwarten dürfen, dass er eine ökologische Perspektive entwickeln könnte oder eine Bereitschaft zum Ausdruck brächte zwischen unterschiedlichen Positionen zu vermitteln. Der ist doch nur gut im Fordern und klare Kante zeigen, zu verurteilen und die Schuldigen zu benennen. Das ist, entschuldigen Sie meine Haltung, ein Anachronismus, eine Einstellung von gestern, die zwar wunderbar hineinpasst in den Kanon Putin, Trump, Meloni, Wilbers und Kickl – die aber nicht in meine Welt passt. Und insofern bin ich noch heute der vollen Überzeugung, dass ich Bundeskanzler kann und gebraucht werde.
Wir können nun auch noch weiter die Geschichte um die Demontage eines Kandidaten füttern und die Wahl einer Partei-Spitze für den Kandidaten mit den geringeren Aussichten auf einen Wahlerfolg und gegen den Politiker mit dem höheren Beliebtheitsgrad oder, wie an anderer Stelle gesagt, der aktuell beliebteste Bundespolitiker, in aller Tiefe aufbohren. Woher denn dieser Beliebtheitsgrad eines Boris Pistorius und wer will sich dazu geäußert haben? Gibt es tatsächlich so viele Wähler*innen, die dem Manne zu folgen bereit sein sollen, der das deutsche Volk ermahnt kriegstüchtig zu werden? Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte dem gar nicht widersprechen, aber so gesagt zu haben hätte ich es nicht wollen. Die Augen nicht zu verschließen vor der Tatsache, dass uns ein Krieg durchaus drohen kann oder, wenn wir es mal anders betrachten, ein Krieg, in dem wir schon mittendrin sind, bin ich gerne bereit zu folgen. Trotzdem wäre ich lieber friedensfähig als kriegstüchtig – darf aber auch das wieder nicht offen sagen, denn sonst hieße es womöglich wieder „keine Eier in der Hose“. Als wenn die sture Männlichkeit noch Zukunft hätte oder haben sollte. Nein, ich bin im tiefsten Innern doch mehr für Paritäten, Gleichberechtigung und Frauenförderung. Und irgendwie war die Partei mir doch im Großen und Ganzen anscheinend doch bereit auf diesem Weg bis zu diesem Zeitpunkt zu folgen. „Die SPD und ich wollen gemeinsam gewinnen und wir haben ja auch schon gezeigt, dass wir das können.“
Ich bin nicht wirklich Scholz. Wäre ich Scholz, dann dürfte ich so manchen Gedanken nicht äußern. Darum bin ich auch kein Scholz, sondern ein Schneider. Schmidt haben wir jetzt mal gar nicht zur Beratung mit hinzugezogen. Das waren auch noch andere Zeiten, ohne TikTok, X und YouTube-Verfolgung, als nach der Debatte noch eine Zigarette inhaliert und ein Brandy getrunken wurde. Die Fitness, die heute von Berufspolitiker*innen vorausgesetzt wird, kann nur durch Selbstmanagement erhalten werden, Sport, eine gesunde Diät und härteste Disziplin. Schon allein die Fähigkeit mit einem entsprechenden Defizit an Schlaf auszukommen wäre für 85% der Menschen ein Ausschlusskriterium. Mal abgesehen von der Tatsache, dass heutzutage eigentlich keine Privatsphäre gewahrt wird – man denke nur mal daran irgendwo auf einer Bank mit schöner Aussicht zum Beispiel einer Dachterrasse oder auf einem Aussichtspunkt einen Joint rauchen zu wollen. Ganz unabhängig davon, ob der Gesundheitsminister Lauterbach nun schon sein Gesetz abschließend abgesegnet bekommen hat oder auf Seiten der Rechtsprechung noch immer Unklarheit herrscht. Kanzler*in, das zu wollen, das zu können und dann auch noch mehrheitlich dazu erkoren zu werden, ist schon eine Rolle, der ich grundsätzlich meinen Respekt bekunde. Insofern kann ich all die Vorwürfe und Diskreditierung, die einem Scholz entgegengeschleudert werden, schwer ertragen und springe ihm darum hiermit zur Seite. Eine Kanzlerschaft im Bunde mit Liberalen und Grünen in einer Zeit der Polarisierung einer Gesellschaft, die sich zu einem nicht unwesentlichen Teil von Halbwahrheiten und unterkomplexen Erklärungsansätzen verführen lässt, ist eine undankbare Aufgabe, für die man eine besondere Konstitution mitbringen muss. Es hat Kanzler*innen gegeben und es wird Kanzler*innen in Zukunft geben, die alle auf irgendeinem Gebiet Schwächen hatten und auf einer anderen Ebene eben Stärke beweisen konnten. Demokratische Wahlen stellen Selektionsprozesse dar, an deren Ende immer wieder eine andere Person auserkoren wird. Scholz war so eine Figur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Er war Bürgermeister von Hamburg, Finanzminister unter Merkel und hat nun eine Ampel-Koalition angeführt. Merz hat in seiner Vita Verbindungen zu katholischen Studentenvereinigungen und zur Finanzwirtschaft, BlackRock, vorzuweisen und reist gerne mit seinem Privatjet. Er hat schon im Europaparlament gesessen und hat Erfahrungen machen können als Parteivorsitzender. Die Stimmenmehrheiten bei der nächsten Wahl einzufangen hat er Potential. Und dann würde er seine Kompetenzen als Kanzler zu beweisen haben. Ob ich für eine Koalition zur Verfügung stehen werde, wird sich dann zeigen. In Verantwortung für Deutschland und Europa sowie Frieden in der Welt.