Eine ganz besondere Freude habe ich heute, mich nämlich mit diesem bisweilen mißbrauchten aber definitiv nicht verbrauchten Begriff zu befassen. Für die, die es nicht wissen können, erinnere ich an den Ursprung meines Blogs und das Thema, dem ich mich meinte annehmen zu wollen: Armut – darum sollte es mir gehen. Armut, deren Ursachen, die auf die Beendigung der Armut ausgerichtete Politik, wir bezeichneten so etwas in der Vergangenheit mal als Entwicklung, heute negativ konnotiert, darum inzwischen bevorzugt als Transformation bezeichnet. Ob große Transformation oder nur eine kleine Transition, der Übergang in ein neues Zeitalter mit einer unser tägliches Leben revolutionierenden Digitalisierung. Eine nicht wiederzuerkennende zukünftige Arbeitswelt, mit Robotern und vernetzten Städten. Hochhäuser in der Wüste und ein Wachstumsmarkt Afrika, mit steigender Population, immer besser ausgebildeten Frauen und Männern. Krankheiten zurückgedrängt, Migration eingedämmt. Wohlstand und eine steigende Lebenserwartung überall auf der Welt. Der Human Development Index weiter steigend und der Happiness Index etabliert. Frieden und ein Ende der Armut. Das waren einmal die in den Millenium Entwicklungszielen zusammengefassten Vorstellungen.
Heute befindet sich die Transformation in der Krise. Der Umbau zu einer sozial und ökologisch gerechten Welt will nicht so recht gelingen. Es scheint uns an der erforderlichen Kreativität zu fehlen. „Zukunftskunst“: Die Fähigkeit, kulturellen Wandel, kluge Politik, neues Wirtschaften und innovative Technologien miteinander zu verbinden. Nur so werden Energie- und Mobilitätswende, die Ernährungswende oder der nachhaltige Wandel in unseren Städten möglich. Es geht also um nicht mehr und nicht weniger als den Wechsel oder Austausch eines politischen Systems. Ursprünglich sollte es gehen um den Übergang von autoritären Regimen zu Demokratien. Heute scheint es vielmehr um das Ende des Kapitalismus in seiner uns bisher bekannten Form zu handeln.
Wikipedia behauptet, dass in der Politikwissenschaft Begriffe wie Regimewechsel, Transformation und Transition synonym verwendet werden. Ob sich die Transition Bewegung damit abfinden würde, wäre gegebenenfalls zu prüfen. Unter dem Motto „Einfach. Jetzt. Machen“ erproben Transition Initiativen, wie wir anders und besser leben können: Besser als bisher mit dieser Erde umgehen. Besser für die Menschen sorgen und für uns selbst. Weniger abhängig von fossilen Rohstoffen sein. Klimafreundlich und enkeltauglich leben. Mitmachen beim Wandel mit Kopf, Herz und Hand – und natürlich gemeinsam mit vielen anderen bürgerschaftlichen Bewegungen.
Also, anders sollte es besser gehen. Als Zukunftskünstler die Kreativität aus sich herauskehren und sich auf den Weg machen. Statt Trump, Populismus, Luxus- und Konsumwahn sich gegen die Ressourcenverschwendung stemmen. Nicht nur satt davon reden, dass die westlichen Industrienationen über ihre Verhältnisse leben. Wir müssen umsteuern! Weniger Feuerwerk, weniger Fast-Food, weniger Batterien und Autos, weniger produzieren, weniger reisen, weniger essen. Ein psychologisches Problem. Eine psychiatrische Herausforderung. Hormonelles Desaster. Dabei sind wir nicht unbeteiligte Beobachter, sondern wir sind der Overshoot. Wir sind das Opfer und der Patient zugleich. Wir verfolgen und dokumentieren unseren Untergang. Wir inszenieren die Dystopie. Am Bildschirm, virtuelle Realität. Schauen uns gegenseitig in die Einkaufstaschen und unter den Weihnachtsbaum. „In der Tat, wir haben die Psychologie und Lebenswissenschaften im Nachhaltigkeitsdiskurs fast vergessen“. „Die meisten Menschen wissen, dass wir biospärisch auf einen Abgrund zusteuern und dennoch wirken wir in den Mühlen der Wachstumsgesellschaft. Es ist wichtig, dass sich auch Ärzte und Psychiater in die Problematik einmischen.“ (Prof. Peukert, Finanzökonom, Universität Erfurt). Ohne eine Transformation des Denkens und ohne die ehrliche und schonungslose Analyse des globalen Zustands unserer Gesellschaft und unseres Handelns werden wir bald die eigene Comfort Zone verlassen müssen. Angesichts einer rasant wachsenden Weltbevölkerung wird es künftig nur so möglich sein, von Gerechtigkeit geprägte Lebenswissenschaften zu etablieren und aufrecht zu erhalten.
Es geht um die Armut unserer Herzen und die mangelhafte Verteilung des Wohlstandes. Die einen wollen mehr und die anderen haben zu viel. Wer viel hat mag nicht gerne geben. Grundsätze stehen auf dem Papier, sind aber schwer zu leben. Woher soll die Erneuerung denn kommen? Brauchen wir vielleicht mehr Orte der Begegnung? Müssen wir auf die Strasse gehen bevor wir an die Wand fahren? Woher kommt ihr? Wohin wollt ihr gehen? Was macht meine Herkunft mit mir und verhindert, dass wir über schwierige Themen miteinander sprechen? Früher war alles anders. War es besser? Nicht, wenn wir die reinen Fakten checken. Und das, wenngleich die Pole schmelzen und der Messias sich nicht zeigen will. Die Politik ist schuld an dem Desaster, wollen uns die Guten weis machen. Polemik in der Presse. Lügen verbreiten sich schnell und widerstandslos in den sozialen Medien. Zeitnot, die für den täglichen Unterhalt kämpfen müssen. Zeitnot, die der Technologie hinterherjagen und die Aktienindexe und Marktentwicklungen im Blick behalten müssen. Alle gleichermaßen. Opfer und Täter. Milde gesagt „Patient“ kleiner Mann und kleine Frau. Die gut gebildete Jugend nutzt die Gelegenheit und wirbelt Staub auf in den Strassen. Fridays for Future mache ich schon seit vielen Jahren, hatte aber noch keinen so guten Namen. Jetzt tritt Extinction Rebellion an die Speerspitze der Bewegung. Ausgerechnet aus London. Der Geburtsstätte des Brexit.
Ob wir noch weiter bauen dürfen? Weitere Äcker opfern für Wohnraum und für Straßen. Warum verzichten wir nicht erst einmal auf weitere Logistikzentren und Autobahntrassen? Wer verdrängt hier denn wen aus den Städten? Die Jugend kommt und macht sich breit. Sie werden älter und breiten sich aus. War das nicht schon immer der Gang der Dinge? Was sich ändert sind unsere Ansprüche und die Selbstverständlichkeit mit der wir halbvolle Teller zurückgehen lassen in die Küche und in die Entsorgung. Was sich ändert sind unsere Spontanität und unsere Mobilität. Die Flexibilität, die wir von den anderen erwarten und uns selbst zugestehen. Nur warten wollen wir nicht. Haben keine Zeit. Alles muss umgehend besorgt und erfüllt, erledigt und geliefert werden können. To Go verdrängt den Sit-in. Brown-bag lunch statt Seminar. Ein Baustopp ist ausgeschlossen. Dazu gibt es zu viele Bedürftige und willige Arbeiter*innen, die am Monatsende die Kredite bedienen müssen. Wir suchen nach Narrativen, haben aber keine Zeit mehr um zu lesen oder zu schreiben. Wir Skypen und verschicken Botschaften anstelle von Argumenten und Diskursen. Ein Traktat strapaziert viel zu sehr und eine Email übersteigt schon die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne. Lasst uns besser gemeinsam etwas bauen. Es dürfen auch kleinere Häuser sein oder neue Verkehrssysteme. Lasst uns zusammen das Scheitern studieren.
Es sind unruhige Zeiten und Veränderungen stehen an. So viele Geister, die sich zeitgleich zu Wort melden, können nicht irren. Aber wir sollten uns auch nicht wie eine wirr gewordene in Panik geratene Herde scheuchen lassen. In der Ruhe liegt sehr viel Kraft und ich ermüde nicht, dies bei Bedarf zu wiederholen. Ich lasse mich nicht gerne drängen, auch wenn es heißt wir dürften den Weckruf nicht verpassen. Was heute noch ungewiss ist, wird sich morgen klären und woran wir heute nicht gedacht haben, wird sich morgen präsentieren. Transition ist und wird nicht nur gemacht. Transformation ist ein Prozess und kein Programm. Der Übergang von einer autoritären zu einer demokratischen Gesellschaft kann auch wieder rückläufig sein. Da gilt es, gut aufzupassen und aus der Erfahrung zu lernen, wachsam zu sein. Kunst ist, nicht nur zu schaffen sondern auch zu bewahren, machen und nicht nur zu denken, lassen, worauf verzichtet werden kann und loben was es wert ist zu haben.