„Viel Lärm um Nichts!“ So schallt es seit ein paar Tagen und hallt noch nach in meinem Kopf als wollte mir wer was sagen. Viel Lärm um nichts ist eine Verfilmung des gleichnamigen Stückes von William Shakespeare aus dem Jahr 1993. Aber damit hat der Nachhall in meinem Hirn nichts zu tun. Auch nicht mit Liebschaften und Lastern, sondern viel mehr mit Corona und Menschheit, Verkehr im Sinne von Fortbewegung und nicht -pflanzung, Schall und nicht Fall, weniger Schwärmerei als Armut und Lärm statt Laute. Wir können dazu ins Gespräch kommen ganz leise. Damit uns keiner hört.
Wenn wir schreien, dann auf den Barrikaden oder wenn mich ein Auto beinahe überfährt. Nein, einfache Kost habe ich nicht zu bieten. Verschwörung ist nicht mein Ding. Armut, ob im Geiste oder ganz im materiellen Sinne, davon will ich reden. Wenn aus der Krise keine Klugheit wächst und Corona nur zum Lock-down führt, im Sinne von Gefängnis und Regelwerk, verschärfte Bedingungen, Streiks und Manifestationen, mit Gegnern*innen und Gegendemonstrationen. Wenn Millionen von Menschen an einem neuartigen Virus sterben, dann ist das Geschrei gross. Wenn noch immer 1 Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat, keine Allgemeinbildung bekommt und ganz unkatholisch am Hungertuch nagt, also nicht aus freiheitlichem Willen und zur geistigen Erbauung; solange noch Malaria und Tuberkulose wüten, Menschen die Basisgesundheitsversorgung verwehrt wird, solange bleibt für mich Corona viel Lärm um nichts.
Oder stellen wir uns doch mal die Dichte der Nachrichten vor, wenn jede/r Migrant*in soviel Aufmerksamkeit erhielte wie die paar belegten Betten auf den Intensivstationen eines Industrielandes. Entschuldigt mich und meinen Hang zum Tabubruch. Ist mir egal was aus einem amerikanischen Präsidenten wird, der wegen eines Schnupfens die Wahlen verliert. Oder ob er gewinnt und noch ein paar Jahre seine Deals zelebriert. Das Volk wählt sich seine Führer*innen. Und das Volk ist selbst schuld. Also Wir sind selbst schuld, denn wir sind das Volk. Und wir haben die Führung verdient, denen wir die Macht gewähren. Ob in Peking oder Phnom Penh, Moskau oder Minsk. Wir – das Volk, die Militärs, die Bürokrat*innen, Frauen und Männer. Keine Entschuldigung. Nur Aufklärung und Wandel, Emanzipation und Ermächtigung, Aufmerksamkeit und Widerspruch. Schlimmstenfalls Gefängnis. Die Gedanken sind frei. Und sperrst du mich ein im finsteren Kerker. Zum Schweigen gebracht. Auf den Strassen da lärmt es. Das ist keine Frage der Aufklärung mehr und der Erinnerung. Es ist eine Frage der Haltung und des Willens.
Daran habe ich, Bürger, wohlgenährt und gutbetucht, zuerst, mal gar nicht gedacht. Mir ging vielmehr der Fluglärm auf den Wecker. Und ich war dankbar, als ein kleiner unsichtbarer Virus (China-Virus vom Präsidenten Trump so genannt) die Mallorca Touristen vom Abheben zurückhielt, nachdem sie wegen steigender Preise auf Mallorca im Jahr 2019 noch auf die Türkei ausgewichen waren, weiter fliegen, nicht nur durften sondern sollten, weil wirtschaftsfördernd (als Adjektiv). Immer über meinen Kopf hin, über meinen Garten, über meine Nachbarschaft. Tag und Nacht und besonders unangenehm, weil schlafraubend (noch ein Adjektiv), bevorzugt am frühen Morgen. Mir geht Fluglärm schon seit vielen Jahren ganz gehörig (von hören) auf die Nerven – es macht mich krank (ich bin gekränkt). Und wenn ich in der Eiffel oder in den Alpen spazieren gehe und über mir die Düsen brummen, dann würde ich schießen wollen, wenn es in meiner Macht läge und ich nicht wüßte, dass hoch dort oben an der Spitze des Kondensstreifens 300 Menschen dicht an dicht, nicht mal 50cm Distanz voneinander (ob Corona oder nicht) säßen und sich als Volk verstanden sehen wollten. Ich schieße keine Menschen vom Himmel. Und wenn sie mir noch so sehr auf den Geist gehen sollten. Nein, so einen Mord begehe ich nicht. Aber Lärm, der bleibt. Ob nun wirtschaftsfördernd oder umweltschädigend. Ich habe da schon ganz unterschiedliche Argumentationsstränge zu hören bekommen. Ich frage mich nur, ob das Fliegen auch stiller wird, wenn der Antrieb weniger CO2 emittiert?
Aber die Sportfliegerei – die gehört verboten. Jedenfalls bei Bevölkerungsdichten von über 200 Personen pro km². Bei Populationsdichten von weniger als 2 Personen pro km² fängt man sich ja schon an zu freuen, wenn ein Sportflieger am Himmel erscheint. Man würde winken wollen und Kontakt herstellen. Ihr kennt das: Einsamkeit. Gefunden werden. Aber über dicht besiedelten urbanen Siedlingsstätten, wo sowiesoschon dauernd Kinder krakelen, Schaukeln quietschen, Kirchenglocken läuten, der Muezzin ruft und die Autos hupen, da braucht es nicht auch noch die gutbetuchten Anwält*innen, Ärzt*innen, Immobilienhaie und Notar*innen mit ihren Propellermaschinen am Himmel. Mir egal, ob die inzwischen mit Hybridmotoren fliegen. Ich sitze im Garten und versuche ein gepflegtes Gespräch zu führen und da rattert rücksichtslos der erfolgreiche Manager (nehmen wir einfach mal an, es wäre ein Mann – vielleicht auch schon deswegen, weil Frauen nach Feierabend weniger fliegen) selbtsgefällig und genießerisch der Abendsonne entgegen. Den Lärm würde ich schlichtweg verbieten.
Und das gilt genauso für die Formel I. Synonym für alle Motorfetischisten, ob Zweirad oder SUV, auspuff- und zylinderversessen (nochmal Adjektiv), PS und Kubikzentimeter verliebt. Es geht mir auf die Nerven. Es macht mich krank. Es schneidet mir ins Gemüt. Es missbraucht unser gemeinsames Gut: Der Raum, der sich nicht fassen lässt, der uns umgibt und den wir zu teilen genötigt sind – ob Paradies oder nicht – in der realen Welt, die immer voller und voller wird, jedenfalls was die Anzahl von Menschen und ihren Fußabdruck anbelangt. Mit welchem Recht fahren sie zum einen immer zu schnell durch unsere Siedlung, weil wir die Strassen zu breit und gefällig gebaut haben und damit den Raser zum Gasgeben einladen, aber auch zu den Nachrichtenzeiten: Wieso bekomme ich kritiklos und ohne Entschuldigung für den täglich produzierten Schaden an der Natur abends in den Nachrichten die Formel I präsentiert – mit der obligatorisch spritzenden Flasche Champagner, wie das orgastisch explodierende Ejakulat eines Mannes im Ring makellos geformter Weiblichkeitsikonen. Gendersensibilität im Fernsehen ist noch im Embryonalstadium. Frauen an die Macht. Vielleicht wird es dann etwas stiller.
500 Euro pro abgeschafftem Auto: Die Gemeinde Denzlingen bei Freiburg fällt nicht zum ersten Mal durch kreative Ideen bei Klimaschutz und Verkehrswende auf. Na, geht doch. Armut ist leise. Reichtum ist laut. SUVs werden schwerer und donnern, nicht nur über die Autobahn. Unter den Brücken verstecken sich die Obdachlosen und warten auf Almosen. Sie suchen Unterschlupf und erfahren, dass sie schon lange nichts mehr zu sagen haben. Ich grüße freundlich. Es ist noch Sommer. Aber wenn die Tage kürzer werden und die Nächte länger, das Thermometer wieder fällt und wir über Kälte klagen können und die Erderwärmung wieder in Vergessenheit gerät, dann wird es ungemütlich unter den Brücken und man möchte schreien. Die Wut in Worten. „Die Elenden“ von Anna Mayr sind wütend auf die Kolleg*innen, die aus ökonomisch gesicherten Verhältnissen stammen, darüber wie sie wahrgenommen und was von ihnen erwartet wird. Wer sich vor den Kopf gestoßen fühlt lernt sie kennen – die Wut – die Anna. Zu übersetzen in Worte kostet Mühe.
Laut ist’s in den Alpen. Wo die Tagestouristen einfallen, dank der guten Straßenanbindung, im Ammergauer Land, aus München in knapp etwas mehr als einer Stunde. Da haben die Eisverkäufer Spass und die Gastwirte freuen sich, wenn der Rubel rollt und der Trubel wächst. Und die Strassen tragen die Last und die Müllentsorgung will organisiert sein und die Tierwelt ergreift die Flucht, weil sie die Aufdringlichkeit der Gäste nicht ertragen kann. Und nicht muss. „Kramertunnel jetzt – für unsere Kinder“ steht auf den Transparenten. Obwohl die Baustelle schon den Bergwald zerstört und der Lärm durch das Tal dröhnt. Die Garmischer haben breite Straßen und große Autos. Der Traum ist erfüllt. Die Naturschützer sterben aus und sind alt. Kajakfahrer verscheuchen Flußregenläufer und Wasseramseln von Kiesbänken, Querfeldeinläufer und E-Biker*innen verdichten den Waldboden und zerstören die Habitate von Kräutern, Sträuchern und Bäumen. Badende verteilen Sonnencreme und Gleitschirmflieger erschrecken die Gemsen. „Die Technisierung der Erholung“ dringt ein in die letzten Ecken. Für Mensch und Natur gibt es keine Pausenzeiten mehr. Die bayrischen Alpen gleichen einem Themenpark für die technischen Sport- und Urlaubsvergnügen. Und warum sollte es dem Himalaya, den Pyrenäen, den Rocky Mountains und den Anden anders ergehen? Entwicklung. Fortschritt. Staudammprojekt und Skilift. Aussichtsplattform und Wellness-Anlage. Wir Menschen dringen vor und tief hinein. Mit unserem Spass und Freizeitbedürfnis zerstören wir die Ruhe und die Leichtigkeit, die Frische und das Licht. Derweil wir die Klänge digitalisieren und in unseren Unterkünften reproduzieren, die Gerüche simulieren und konservieren, die Ansichten virtualisieren und animieren. Bis dass nichts mehr da ist vom Ursprung, wir aber uns in paradiesischen Zuständen wähnen. „Permanent Vacation“.
Streit statt Politik. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass bei Straßenlärm, der im Haus einen Schallpegel von 65 Dezibel (dB) erreicht, das Risiko für Herz-Kreislaufstörungen um 20 Prozent höher ist, als bei 50 bis 55 Dezibel. Vorbeifahrende LKWs, Motorsägen oder Winkelschleifer erreichen schon 80 bis 100 dB und können auf Dauer zum Gehörschaden führen. Bei 110 dB ist die Schmerzgrenze erreicht. Kreissägen und Presslufthämmer liegen in diesem Bereich, aber auch der Lärm in Diskotheken oder die Musik aus dem Walkman. Über 120 dB erreichen startende Düsenflugzeuge: Die Lufthansa hebt nicht mehr ab.
Ein Job bei der Lufthansa bedeutete lange Zeit Renommee, gutes Geld und einen sicheren Arbeitsplatz. Doch die Zeiten sind vorbei. Die Anzahl der Flugzeuge wird reduziert. Die Flotte schrumpft. Der Airbus wird eingemottet. Es wird ruhig in der Luft. Das Personal wird reduziert. Aus Krisenpaket wird Klimaschutz. Und es ist nur noch eine Frage der Zeit bis dass das Unternehmen verstaatlicht werden kann. Oder fusioniert, zu einem europäischen Mobilitätsdienstleister. „Erlebe die Faszination Fliegen!“ scheint ausgeträumt. Coronabedingt. Wahrscheinlich doch nur vorübergehend. Die Klage über Fluglärm gehört im Rhein-Main-Gebiet zum guten Ton, auch bei Menschen, die gute internationale Anbindung schätzen. In diesem Sommer waren die Stunden draußen auf Balkonen, Terrassen und in den Parks angenehmer als in den Vorjahren. Doch alle in der Region kennen Menschen, die an den Flughäfen arbeiten. Und wir alle kennen Menschen, die nur darauf warten, endlich wieder abheben zu können. In den „wohlverdienten“ Urlaub. Die unbedingt erforderliche Dienstreise. Der Beratungsauftrag. Zur Hilfe eilen, die Welt retten, den Hunger bekämpfen. Wir haben so vieles zu tun und stecken fest. Können das nicht vorhandene Geld gerade nicht ausgeben und müssen virtuell kommunizieren. Der öffentliche Nahverkehr streikt. An den Kreuzungen stauen sich Fahrradfahrer*innen und halten angemessen Abstand, damit sie sich nicht gegenseitig mit Corona oder Grippe anstecken. So starten wir in den Herbst und freuen uns auf den Winter, wenn wir bei offenen Festern heizen und die Aerosole mit CO2 vertreiben.
Am stillen Grünen Band, dreißig Jahre nach Ende der DDR, hat sich die Natur den einstigen Todesstreifen zurückgeholt. Natur und Geschichte verschmelzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass man Schaf und Rind begegnet ist dabei größer als dass man auf Dachse oder Wildkatzen stößt. Aber, es herrscht Ruhe, auf weiter Flur. Sagt es nur nicht weiter, denn sonst kommen sie bald – die Freizeitsportler, Wochenendabenteurer, Ausflugslustigen und Naherholer*innen. Wir werden uns zwangsweise begegnen, solange wir noch genügend finanzielle Ressourcen haben, der Diesel so günstig ist und die Dienstleistung zu haben. Aber auf Familienfeiern, Parties, Hochzeiten, Paraden, entsprechende Großveranstaltungen und Happenings sollten wir in nächster Zeit besser verzichten. Wir gehen dem Trubel aus dem Weg, halten uns von Massen fern und machen Lärm bei uns zuhause. Ich empfehle: Ton, Steine, Scherben.