Wasser

Ist es nun ein trockener oder ein feuchter Sommer gewesen? Gefühlt, der Statistik nach, oder bezogen auf den Ort an dem du dich vornehmlich aufgehalten hast? Bist du nass geworden? Hast du gefroren? Wo bist du gewesen? Hat es dich kalt erwischt? Musstest du zuhause bleiben? War wohl nichts mit nach Teneriffa fliegen oder in der Ägäis am Strand abhängen? Meerumschlungen. Stattdessen mussten Longdrinks auf der heimischen Terrasse unter der Beobachtung kurzsichtiger Nachbarn getrunken werden. Durst – wer kennt ihn noch? Vor einigen Tagen sind Touristen, die nicht ausreichend Wasser mitgenommen hatten, auf ihrem Ausflug in die Wüste Negev, irgendwo in den trockenen Tälern verdurstet.

Viel Zeit haben wir im Baumarkt verbracht. Haben Zubehör gekauft für die neu installierte Bewässerungsanlage im heimischen Gärtchen. Ganz modern und besonders sparsam mit Tröpfchenbewässerung und Zeitschaltautomatik. Mein Nachbar will sich jetzt auch eine besorgen, damit die Tomaten nicht immer vertrocknen. Und Schnittlauch hat er gepflanzt – Bio versteht sich. Leider sind die Samen vom Infostand der Grünen, Koriander und Dill, doch gleich nach dem Auflaufen wieder abgestorben. Ich weiß nicht, ob ich versäumt hatte regelmäßig zu gießen, oder ob ich die jungen Pflänzchen mit einer Überdosis Wasser ertränkt habe. Nicht nur Mangel, auch Überfluss kann tödlich wirken.

Der Regen, um eine Dürre zu verhindern, ist ausgeblieben. Ein paar kleinere Schauer reichten nicht, um die Wasserspeicher in den Böden aufzufüllen. So erklären uns die Wissenschaften vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, dass bis in Tiefen von 1,8 Metern die Wasserspeicher verbraucht sind, weil es in den vergangenen Jahren in Deutschland viel zu trocken gewesen sein soll. Bei uns im Garten gedeiht der Wein vorzüglich. Die Sonnenblumen vertrocknen. Es gibt ein paar Wildkräuter, denen macht die Trockenheit wohl wenig zu schaffen. Löwenzahn, Klee und Hahnenfuß sind gut dabei den Rasen vollständig zu verdrängen. Die Natur passt sich an. Der Mensch übt sich darin zu beobachten und zu berichten.

Dürre droht, sich nicht nur in der Tiefe sondern auch in der Fläche auszubreiten. Und, obwohl es im Westen Deutschlands im Februar noch besonders viel geregnet hat, leiden Ost- und Süddeutschland unter einer sich ausbreitenden Trockenheit. Dafür brachte der Sommer 2020 in Südtirol wohl, anders als in den vergangenen Jahren, etwas moderatere Temperaturen. Der Juni war noch durchschnittlich warm, im Juli und August lagen die Temperaturen leicht über dem langjährigen Mittel und der Sommer insgesamt fiel etwas milder aus als in den vorhergehenden Jahren. Im Sommerurlaub sind wir manches Mal nass geworden. Eine Hitzewelle, wie in den vorhergehenden Jahren, ist ausgeblieben. Die Bauern konnten eine gute Ernte einfahren. Die Gastronomie hat mehr gelitten unter Corona als unter Wettereinflüssen.

Und an manchen Orten hat es dann doch vergleichsweise viel geregnet, um 40 bis 80 Prozent mehr als im mehrjährigen Durchschnitt. Der nasseste Monat war mit Abstand der August. Und der Regen kam mit beeindruckender Macht, wir haben gehört von Unwetterereignissen. Kein Landesteil blieb dabei verschont. Starkregen, Hagel und Sturmböen gab es in diesem Sommer immer wieder. Die Versicherungsunternehmen haben es kommen sehen und werden den Schaden ersetzen. Für die Menschen in Moria auf Lesbos ist das kein Trost. Sie mussten mit ansehen, wie ihre Hütten und Zelte in den Flammen aufgingen. Kein Versicherungsunternehmen steht ihnen zur Seite. Vielleicht kommen die Schlafsäcke vom Technischen Hilfswerk irgendwann an. Mit viel mehr an Unterstützung ist aber nicht zu rechnen. Oder wird sich das christliche Abendland schließlich doch noch der Heimatlosen und aus dem Lager auf Lesbos Geflohenen erbarmen? Wir diskriminieren im positiven Sinne gerne die Kinder und Frauen. Männer müssen sich selbst durchschlagen. Sie kennen ja auch keine Tränen oder heulen nur im Geheimen. Und dann wundern wir uns wieder, wenn sie eines Tages statt Leichtigkeit und Dankbarkeit, Eigensinn und Kampflust entwickeln.

Die Trockenheit befindet sich auf dem Rückzug. In den letzten 14 Tagen ist viel Regen gefallen, der dann erst mal in tiefere Schichten einsickern sollte, bevor der Niederschlag in der Statistik mit aufgenommen werden kann. Ist der Boden ausgetrocknet und verhärtet fließt Starkregen erst mal oberflächlich ab und sorgt primär für Erosion. So schwemmt es jährlich tonnenweise Oberboden fort ins Tal, wie wir das vor allem in der konventionellen Landwirtschaft erleben. Für den Boden ist Regen verteilt über einen längeren Zeitraum viel förderlicher als hohe Niederschlagssummen in kurzer Zeit. Wir wissen das aus langjähriger Beobachtung. Die Biolandwirtschaft rät darum zu konstanter Bodenbedeckung und zurückhaltendem Pflügen. Große Felder in Monokultur können ganz schlecht mit Wetterextremen umgehen. Das ist wie mit einer uniformen Gesellschaft. Keinerlei Resilienz. Der Kollaps vorprogrammiert.

Und so könnte es dahinplätschern. Zwar ist der Dorfbach ausgetrocknet, aber noch fließt der Rhein. Und dabei sollte uns doch das Wasser bis zum Halse stehen, wo doch die Pole schmelzen, die Gletscher sich aus der Starre lösen und fluide werden, die Meeresspiegel steigen, nachweisbar um Zentimeter, wissenschaftlichen Hochrechnungen nach um viele Meter, schon bis in die unmittelbar überschaubare Zukunft. Dabei soll das Trinkwasser immer knapper werden, wie auf dem Mittelmeer, wenn du im Schlauchboot sitzt und auf die SeaWatch wartest, die dich aufnehmen könnte. Wenn die Wogen über den Bootsrand schlagen und die Passagiere unruhig werden. Wo mag die Küste wohl geblieben sein? Salzwasser lässt sich schlecht trinken. Doch zum Glück sitzen wir nicht alle im selben Boot. Die Klimakrise ist rassistisch. Darauf müsste die internationale Politik reagieren, aber auch die Klimabewegung. Für Außenseiter ist es einfacher Steine zu werfen und Paläste zu stürmen. David Graeber ist tot, aber nicht der Strukturalismus.

„Wisse nun, das das Wasser in salziges und süßes eingeteilt wird und jedes von beiden einen Vorteil hat, der sich beim anderen nicht findet: Das salzige Wasser hat seine Salzigkeit von den salinen Teilen der Erde, die durch die Einwirkung der Sonne gebrannt wurden, sich mit Wasser vermischt und dieses salzig gemacht haben. Denn wenn es süß bliebe, würde es durch die Einwirkung der Sonne und das viele Stehen schlecht werden, weil es mit Süßwasser so steht, daß es vom langen Stehen und durch die Einwirkung der Sonne zu stinken beginnt“ (Al-Quzwînî, die Wasserhülle, aus dem Arabischen übertragen von Alma Giese).

Der Aufwand zur Verwandlung von Rohwasser in einen trinkbaren Zustand übersteigt oft schon die Standards der Technik. Die betriebswirtschaftlichen Kosten explodieren. Flußwasser- und Uferfilteranlagen müssen schließen, weil in den verdichtungsnahen Stadtgebieten oder in landwirtschaftlichen Intensivregionen Nitrateinträge oder als Altlasten bezeichnete Lösungsmittelreste im Boden die Förderung verbieten. Als Antwort darauf entstehen Fernverbundnetze für Ballungsräume und landwirtschaftliche Intensivzonen. Wasser muss über große Distanzen transportiert werden, damit San Francisco, Beverly Hills, Bel Air, La Jolla, PalmSprings und Pacific Palisades, vor 200 Jahren noch versteppte Orte, an denen selten ein markanter Baum wuchs, heute grüne Oasen darstellen und in den Städten sprudelnde Leichtigkeit herrscht. Entsprechend ließe sich in Westafrika das überschüssige Regenwasser aus den feuchtropischen Gebieten über Tunnel und Kanäle in die Trockengebiete des Sahels leiten. Statt Gaspipeline für Europa und fossile Energien aus Russland, Wasser für den Sahel, damit Landwirtschaft gedeihen kann und für Nahrungsmittel gesorgt ist. Damit ließen sich nicht nur Arbeitsplätze schaffen sondern auch die Lebensqualität sowohl im Sahel als auch in den feuchten Tropen steigern. Neue Märkte könnten entstehen. Boko Haram würde verschwinden. Und die Bevölkerung könnte wachsen.

Wissenschaftler sehen in der afrikanischen Sahelzone stattdessen vielmehr einen der besonders bedrohten Hotspots. Stürme und Überflutungen spielen zunehmend eine Rolle, aber auch von Wasserknappheit und einer unsicheren Versorgung mit Lebensmitteln wird ausgegangen. Klimawandel, Konflikte und Unruhen sollen Millionen von Menschen dazu drängen, ihre Heimatländer zu verlassen, wie eine Untersuchung des Institute for Economics and Peace (IEP) prognostiziert.

Die Geschichte von Hochkulturen steht immer in unmittelbarem Zusammenhang mit Wasservorkommen und ihrer Verteilung. Aufbereitung und Förderung von Wasser erfordert technischen Verstand aber auch Verwaltungsstrukturen, denn faire, vertretbare, nachhaltige Verteilung von Wasser ist eine Aufgabe für Jurist*innen und Bürokraten. „Poseidon saß an seinem Arbeitstisch und rechnete. Die Verwaltung aller Gewässer gab ihm unendliche Arbeit. Er hätte Hilfskräfte haben können, wie viel er wollte, und er hatte auch sehr viele, aber da er sein Amt sehr ernst nahm, rechnete er alles noch einmal durch und so halfen ihm die Hilfskräfte wenig“ (Franz Kafka – Poseidon). Ob Babylon oder Alexandria, Wuhan oder Pachacámac, ohne Wasser kein Leben und ohne Rege(l)n kein Fortschritt.

Ohne Versorgung und Entsorgung wäre das Leben in Ballungsräumen unerträglich. Wenn Menschen dicht gedrängt auf minimalem Raum zusammen leben entstehen Kloaken. Hygienestandards können nicht mehr erfüllt werden, wenn Abwassersysteme fehlen und für eine Kanalisation nicht gesorgt ist. In der Phase des Aufbaus der Industriegesellschaft haben Hygieniker und Ingenieure den Grundstein gelegt für ein System der Schwemmkanalisation, wobei Hausfäkalien, Wasch- und Regenwasser, aber auch Industrieabwässer durch ein einziges Kanalrohr in die Flüsse geschwemmt werden. Eine in der Geschichte noch nie dagewesene Wassermenge war für das reibungslose Funktionieren dieses Kanalisationstypus erforderlich. Die Flußreinhaltepolitik war bald die radikalste in der Wasserpolitik eingenommene Position, derweil das zugrundeliegende System der undifferenzierten Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung grundsätzlich nicht mehr in Frage gestellt wurde. Die neu eingerichteten – mechanischen, chemischen und biologischen Wasserkreisläufe ahmen natürliche Filterwege nur noch nach, Wasserinhaltsstoffe werden auf- bzw. abgebaut, Wassergütearten durch ständiges Mischen und Trennen hergestellt. Poseidon sitzt an seinem Tisch und rechnet.

Auch in Deutschland zeichnet sich mit zunehmenden Dürren und niedrigen Regenmengen, die das Grundwasservorkommen nicht mehr ausreichend auffüllen, ein Kampf um die Wasserverteilung ab. Zwar können die Trinkwasserversorger grundsätzlich genügend Wasser bereitstellen. Dafür fallen aber immer höhere Investitionskosten bei der Aufbereitung an. Brunnen müssen beispielsweise tiefer gebohrt werden. Und um in heißen Sommerphasen Verbrauchsspitzen abzudecken, werden mancherorts modernere Leitungssysteme benötigt.

Bei länger anhaltendem heißem Wetter kann das Wasser schon jetzt in manchen Kommunen knapp werden. Aufgrund der Coronakrise haben viele Deutsche in diesem Sommer zu Hause Urlaub gemacht und für ihre Gärten Swimmingpools und Planschbecken angeschafft. Der hohe Verbrauch hat mancherorts das gesamte aufbereitete Trinkwasser aufgezehrt. Solche Fälle treten inzwischen jährlich auf. In der niedersächsischen Gemeinde Lauenau mussten 4.000 Haushalte von der Feuerwehr mit Trinkwasser versorgt werden, weil der Trinkwasserspeicher über Nacht nicht mehr nachgefüllt werden konnte und schließlich aus den Wasserhähnen kein Tropfen mehr kam.

Wenn dann ein trocken gefallenes Moor im Grunewald mit Trinkwasser gerettet werden soll, erregt das durchaus Aufsehen. Das Moor muss nass sein, doch das rechtfertigt nicht, es künstlich mit Trinkwasser zu versorgen, wie es manche Kommunalpolitiker schon gefordert haben sollen. Und auch wenn im Koalitionsvertrag der Bundesregierung eine „Moorschutzstrategie“ beschlossen wurde, so sieht der Bauernverband in der Trockenlegung und Urbarmachung großer Moorgebiete in erster Linie eine kulturhistorische Leistung vergangener Generationen, die es zu würdigen gelte. So hat die Trockenlegung der berliner Moore zur Verdrängung der Malaria einen wesentlichen Beitrag geleistet. Manch tropischer Ort eifert dem berliner Beispiel nach. Urwald ist nicht unbedingt ein gesunder Lebensraum für Menschen. Vielleicht doch vielmehr Romantik von Öko-Tourist*innen und Paradies für Zoologen.

Aber woher kommt denn nun das ganze Wasser? Entgasung scheint der für die Bildung von Ozeanen und der Atmosphäre verantwortliche Prozess zu sein. Eine Eruption, ein Vulkanausbruch habe Himmel und Hölle geschieden, Leben geboren. Und so werden zwei miteinander in Beziehung stehende Kreisläufe beschrieben. Das Wasser, in seiner molekularen Struktur als H2O bezeichnet, verdampft auf der Oberfläche von Land und Meer und zirkuliert in den Wolken, bis das es auf der Erdöberfläche wieder niederschlägt. Der oberflächliche Abluss ist dabei mit einem unterirdisch verlaufenden Grundwasserfluß in begrenzter Tiefe verbunden. Dieser tritt zu Tage an der Quelle, und schwillt an zu Bach, Fluss und Strom bis dass er sich ergießt in Seen und Meeren. Mit sich nimmt das Wasser alle Schlemmstoffe und den zivilisatorischen Müll einer vielfältigen Fauna und Flora, dem Mensch sein Plastik. Auf dem Meeresgrund sinken diese nieder und ein Teil davon gelangt in tiefere Erdschichten und wird durch Hydratbildungen in Mineralien eingebunden. Der hydrologische Kreislauf an der Erdoberfläche wird dabei angetrieben durch die Einstrahlungsenergie der Sonne. Der innerirdische Kreislauf bezieht seine Energie aus der Radioaktivität, aus dem immerwärenden Wandel und Zerfall. Im Erdinneren erfolgt der Kreislauf in einer Verbindung mit dem festen Gestein als Teil der inneren Bewegung von Kruste und Mantel, um schließlich bei einem Gasausbruch wieder an die Erdoberfläche zurückzukehren. Der innerirdische Kreislauf geht sehr langsam vonstatten und übersteigt unser Wirkungsfeld. Diesen Kreislauf können wir als Menschen nicht einmal beobachten, sondern allerhöchstens errechnen und konstruieren. Den hydrologischen Kreislauf an der Erdoberfläche gestalten wir mit, erleben wir hautnah, können Einfluß darauf nehmen, unmittelbar auf lokaler Ebene, aber auch global. Nachkommende Generationen, aber auch zeitgleich an verschiedenen Orten lebende Gesellschaften und Gruppen spüren die Effekte unseres individuellen Handelns und unserer Gewohnheiten als Konsument*innen.

… und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. 1. Mose 1, Vers 2

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