Ein Kind ist uns geboren. Johanna ist da. Angekommen in einer lebendigen Gemeinschaft. In einer Zeit des Untergangs. In einer Zeit des Übergangs. In einer Zeit des Friedens. Je nachdem aus welcher Richtung wir uns dem Geburtstag nähern oder je nachdem aus welcher Perspektive wir auf den 11. Juni blicken. Am Tag nach Pfingsten oder im Jahr 2019. Als die westliche Welt mit den Turbulenzen des Nahen Ostens konfrontiert und ein globales Feuer entfacht wurde. Tropische Hurrikane, Flutwellen, Tornados und Taifune fegten mit nie gekannter Gewalt über unseren Planeten. Der Mensch hat Schindluder mit der Natur und ihren Ressourcen getrieben. Nun wehrt sich Mutter Erde gegen den ‚Parasiten Mensch‘ mit Tsunamis, mit Fisch- und Blutregen, mit Dürre, Hitzeperioden, Frost und Regenfluten, die ganze Landstriche binnen Minuten verwüsten können.
Freundlich scheint die Sonne und durchflutet unseren Garten mit heiteren Farben. Wir lustwandeln durch die Wiesen und schnüffeln an den Rosen. Die nackigen Kinder streunen neugierig um die Hecken und löchern die Alten mit Fragen. Die etwas älteren Kinder spielen Fangen und rollen den Wasserschlauch aus. Die Omas bereiten Eis und reichen Früchtekompott, die Opas beschützen die Brut und sorgen für Sicherheit auf dem Spielplatz, räumen spitze Gegenstände und rostige Nägel aus dem Weg oder mähen den Rasen. Die Väter sind auf Arbeit oder beim Sport. Die Mütter machen Abendbrot. Viel mehr Bienen schwirren durch die Luft als wie es die Presse erlaubt. Und sogar das ein oder andere Insekt wurde schon gesichtet, was uns ein bisschen hoffen lässt, dass doch noch Leben nach 2030 erwartet werden darf.
Kinder machen ist gar nicht out. Auch wenn schwanger sein sicher nicht, wie es früher für Frauen mal gewesen sein soll, heute noch erstrebenswert ist. Vielleicht auch schon nicht, als das Durchschnittsalter noch bei 34 und nicht bei 43 Jahren lag und die Geburtenrate pro Frau bei 2,5 und nicht bei 1,2. Aber früher einmal, als die Männer noch auf Jagd gingen und die Häuser bauten. In Deutschland verzichten immer mehr Frauen auf Nachwuchs. Laut Statistischem Bundesamt hat jede fünfte Frau zwischen 40 und 44 Jahren keine Kinder. In Westdeutschland ist der Anteil noch höher, vor allem in den Stadtstaaten. Vor allem Akademikerinnen bleiben kinderlos. Mit steigender Bildung sinkt die Geburtenrate und nimmt das Bevölkerungswachstum ab. Mit steigender Bildung wird Zuwanderung erforderlich, damit die Arbeit gemacht werden kann, die bei den Akademikern gerne liegen bliebt. Denn die Arbeit mit den Händen ist nicht unbedingt Sache von Akademiker*innen. Die denken lieber und reden davon oder schreiben Bücher und Publikationen. Die Kinderlosenquote bei Akademikerinnen zwischen 45 und 49 Jahren erreicht mit 30 Prozent einen neuen Höchststand. Bei den fünf Jahre jüngeren Akademikerinnen wird sie aber voraussichtlich wieder etwas geringer ausfallen.
Wir können also weiter hoffen. Auch wenn Klimawandel und Umweltkatastrophen, der 3. Weltkrieg und das Damoklesschwert der Apokalypse allgemein, ganz zu schweigen von den Himmelskörpern, die uns treffen könnten oder den Vulkanen, die auch mal unvorhergesagt ausbrechen, drohen. Es werden stets Kinder geboren. In Moskau und in Delhi, in New York und auch in Bonn. In Deutschland sind es etwa 2.100 Kinder pro Tag. Weltweit können wir von etwa 213.000 Geburten pro Tag ausgehen. Wir wachsen weiter. Als Menschen. Allerdings nicht wegen der Geburtenraten. Sondern wegen der besseren medizinischen Versorgung. Wegen der Bildung. Wegen den Menschenrechten. Wegen des Wahlrechts der Frauen. Und weil wir unheimlich viele Lebensmittel in der Lage sind zu produzieren. Auch wenn darunter, mit einer gewissen Logik, die Umwelt leidet. Viele Menschen, viel Mast, viel Nachwuchs, viel Produkte. Durch fossile Vorkommen energetisiert. Die Sonne scheint ganz umsonst. Vielleicht nicht stärker als früher, aber effektiver. Denn wir heizen mit. Und so wird es warm. Die Wärme brauchen wir, für unsere Energie. Wir brauchen Plastik. Viel Plastik. Für unsere medizinische Versorgung. Für unsere Gesundheit. Für unser Wohlbefinden. Und dafür, dass wir immer älter werden. Das wollen wir.
Also Geburtstag. Der Tag an dem Mensch das Leben erblickt. Meist mit wenig Erinnerungen einhergehend. Nur einige Literaten meinen sich einen Spass daraus machen zu müssen, ihre eigene Geburt zu beschreiben. „Als ich das Licht der Welt erblickte“. So ein Unsinn. Sollte doch eher heißen „als ich mich schließlich als Mensch erkannte“. Oder sollen wir es vielleicht mit Taufe versuchen? Ist doch auch eine Ankunft.
Nicht die Niederkunft. Das ist Muttersache. Väter sollen heute mit dabei sein. Die Schmerzen übernehmen aber die Frauen. Der Tag war ausgerechnet. Soundsoviele Tage nach dem Ausbleiben der Regel. Und die Empfängnis? Das war doch das eigentliche Erlebnis. Hoffentlich schön gewesen. Orgastisch. Nicht eine schmerzliche Erfahrung. Sondern Lust und Wonne, lieblich und kostbar. Auch eine Feier wert. Wir Kinder wollen mit Liebe gemacht sein. Nicht unter Leistungsdruck. Nicht mit Gewalt. Und nicht in Hoffnungslosigkeit. Denn das ist das eigentliche Los. Der Moment in dem alles beginnt. Der Moment in dem sich die Botschaften vereinen. Wo klar wird, dass das Spiel beginnt. Erst danach beginnt der Prozess. Erst in der Mutter, dann in der Welt reift das neue Leben heran. Und es gesellen sich Leute hinzu und es kommen Farben in den Blick. Die Geräusche werden deutlicher und es scheint bald, als wären die Signale auf einen selbst, das sich entwickelnde Leben, das Neugeborene, gerichtet. Aber wann werde ich? Wieviel bin ich und was kann ich selbst aus mir machen? Wieviel Form geben mir die Alten? Was wollen all die Leute, die mich betütteln und mich herzen? Wohin soll die Reise gehen?
Viele Leute um sich zu haben, ist sicher besser als einsam heranzureifen. Mehr Stimmen zu hören gibt mir mehr Chancen eine eigene zu entwicklen. Alleine gelassen, bleibt mir doch nur die Immitation der Stimmen, die ich dauernd höre. In Gemeinschaft aufzuwachsen bietet mir ungleich mehr Auswahl an Möglichkeiten. Also, gebt mir Platz und Zeit aber macht mir Angebote. Ich werde mich dann beizeiten zu entscheiden wissen. Und darum geht es doch in eurer Welt. Heißt mich willkommen. Ich heiße Johanna und bin in eure Gemeinschaft hineingeboren.