Danach wird die Welt eine andere sein. Niedergeworfen und klein beigegeben. Hingelegt und nicht mehr bewegt. Die Schläge ertragen und sie über sich ergehen lassen. Den Schmerz erdulden, auch wenn es ewig scheint nicht mehr aufzuhören. Schwach sein und fallen. Keine Widerrede mehr und kein Aber. Keine Worte, nur noch Schweigen. Widerstand ist zwecklos. Die Stärkeren werden siegen. Sie sind in der Überzahl. Die Schlacht ist verloren. Wir können uns nur noch in Nachgiebigkeit üben. Resilienz. Biegsamkeit. Demütige Achtsamkeit. Nachdem wir die Klappe etwas zu voll genommen hatten und meinten die Antworten auf die großen Fragen zu kennen. Die Wahrheit hatten wir erkannt und zogen dafür auf die Strassen, skandierten unsere Forderungen, riefen zur Manifestation auf. Wollten es den Mächtigen zeigen. Ungestüm erklommen wir die Barrikaden. Die Welt wollte sich ändern. Und wir waren ganz vorne mit dabei.
Doch so kann man sich irren. Die Welt kennt andere Gesetze. Ausgangssperren und Epidemien, Diskriminierung und Leitkulturen, Richtwerte, DIN– und ISO-Normen, viele Götter, reiche Männer, starke Frauen. Da zeigt sich unsere Schwäche. Und nicht erst wenn der Incel über einen herfällt oder die NEETs zum Angriff übergehen. Bist du vielleicht schon auf den Redpilling-Starterpack gestoßen? Angst und Schrecken verbreiten die Trolle in den sozialen Medien. Wir dagegen sind auf Zoom und Jitsi-Meet, Fairmeeting, WebEx, Moodle und BigBlueButton unterwegs und brauchen uns vor einer Begegnung mit dem Ahriman nicht zu fürchten.
Lieber fechten wir unsere eigenen kleinen Schlachten. Streiten auf politischer Bühne, wollen mehr Einfluss und Macht. An unserem Wesen sollen sie genesen. Die Ausdehnungsmöglichkeiten der Völker sind räumlicher Natur. Wir schaffen gegenseitige Abhängigkeiten und sind stets der Auffassung „gut“ zu sein im Sinne des Fortschritts, der Transformation, des Wasauchimmer4future, ob science oder parents, dentists oder dancers. Die Niederlage im ersten Weltkrieg begrub alle Pläne von „Mitteleuropa“ und warf die Deutschen zurück in die Tradition der gefühlten Unterdrückung. Opfer des Imperialismus seitdem Napoleon den revolutionären Universalismus, die Etablierung bürgerlicher Rechte und das Streben nach Modernisierung mit imperialen Zielsetzungen vermischte. Und heute stürmen Migranten auf das Vaterland ein und drohen mit einer Art Völkermord an der einheimischen Bevölkerung. Dabei wollten wir doch gerade unseren Kohleabbau einstellen und Bienenweiden in unseren Städten etablieren, unsere Kiwis selbst anbauen und die Student*innen Spargel stechen lassen. Die Krankenpflege sollte Deutsch werden und statt World of Warcraft zu spielen und sich in der Kekosphäre zu radikalisieren, sollten die Supreme Gentlemen mal im Strassen-, Beton und im Landschaftsbau oder auf der Großbaustelle ihr Selbstvertrauen und ihren Zuspruch rehabilitieren.
Wenn da dann mal etwas gewesen sein sollte. Es bleibt nicht viel. Nach der Niederlage fällt man in ein Loch. Auch wenn da was gewesen sein sollte. Jetzt ist da Nichts. Gemeinsam sollte Future entstehen, im Dragon-Dreaming-Modus. Kleingeister rühren in der Gemüsebrühe und mit dem Dampf steigen große Visionen empor. Wir greifen in die Wolke – NextCloud – und entwickeln eine Strategie aus Worten und Taten. Und eine rennt immer gerne vorneweg und tanzt auf allen Hochzeiten. Unermüdlich streitet sie, twittert und bloggt, sorgt sich, segnet wen und was ihr lieb ist. Kämpfen ist böse, Politik ist dumm, Menschen sind gut-gläubig würde ich meinen, aber ich sollte nicht zu viel – vor allem meinen, denn was weiß ich schon. Nach Jahren habe ich noch nicht verstanden, worum es geht und das, obwohl ich schon allerhand gelesen habe zu Transition und Wandel, zu Veränderung und Handel. In der Vergangenheit habe ich gewühlt und nicht nur unverbrauchte Natur und romantische Diversität entdeckt. Pest und Cholera. In die Zukunft habe ich geschaut und verschiedene Varianten und Szenarien unterschiedlichster Narrative gesehen. Yogeshwar und Dataismus.
Im Hier und Jetzt geht es aber darum, gemeinsam etwas zu bewirken. Oder einfach nur zu leben. Da brauchen wir uns doch nicht zu streiten, sondern sollten vielmehr unsere Kompetenzen vereinen. Die einen können gut pflügen, die andern besser säen. Manche sind besser im Reden, die anderen im Gehen. Das Zusammen will organisiert sein. Und eine Organisation braucht Strukturen. Das klingt ganz schlicht, wie eine Gesetzmäßigkeit, wie aus dem Lehrbuch und mag darum auch in Frage gestellt werden. Denn vielleicht ist es nicht wahr. Vielleicht ist es nicht gut. Vielleicht ist es schlecht. Und da kommen wir wieder bei der Niederlage an. Die Niederlage besteht darin, dass einer aufgibt und nicht weiter streiten möchte, sich herauszieht, ergibt oder flieht, versteckt oder weicht. Egal ob schwach oder falsch, ob in der Minderheit oder aus mangelnder Motivation. Ende. Aus. Das Thema ist vom Tisch. Der Kampf hat sich nicht gelohnt und wird nicht weiter geführt. Da gibt es ganz andere Kriege zu fechten.
„Gemein“ heißt nicht „nützlich“. Und damit ist die Gemeinnützigkeit futsch. Attac-Aktivitst*innen zerlegen ein Ceta-Monster. Der Reichstag schaut zu. Die Deutsche Umwelthilfe bekommt nun auch Probleme. Jede sieht halt gerne, was sie sehen möchte. „Pandemien zu einer Erweckungsbewegung der Natur umzufunktionieren und die Zeit danach utopisch aufzuladen führt schnell in eine ökofaschistische Querfront: mehr Verzicht, weniger Überbevölkerung …“ (Peter Schneider). Die Verlierer haben das Nachsehen. Die Sieger glänzen durch Empathie. Die auch nicht mehr ist, was sie mal war. Jetzt, wo sie zu einem Kampfbegriff geworden ist. Wer den Gefühlsüberschwang nicht aufbringt, wird pathologisiert. Autist*innen werden zu Opfern des Empathiemangel-Bashings, kulturelle Abweichungen werden mit Disrespekt quittiert. Nett zu anderen Leuten zu sein, hat mit Empathie zwar wahrscheinlich etwas zu tun, ist aber nicht dasselbe… Und der Tod regiert in Bergamo. Das Denken wird immer schwieriger in diesen Zeiten. Dabei könnten wir es uns leisten, den Leerraum erstmal auszudehnen, jetzt, in der Krise, die mit Stillstand droht.
Die Kraft der Verwandlung erlischt, wo ein Aspekt des Lebens totalitär wird. Die eigenen pragmatischen und romantischen Vorstellungen aufspüren, von wie das alles besser sein könnte, oder eben doch nur ein gutes Buch lesen. Es faszinieren, die doppel- und vielgesichtigen Wesen. Immer tiefer hineingraben in die mittelständische Entschleunigung und durchdeklinieren, wie zwingend aus der Coronakrise die Notwendigkeit von globaler Klimapolitik folgt. Gemeinsam und global, die Idealisten und Konstruktivisten, Die Realisten und Opportunisten, die Pragmatiker und Phlegmatiker, die Skeptiker und die Sarkasten. Heißer Herbst auch ohne Glasgow. 30.000 Klimanerds bilden eine kriminelle Vereinigung von Virenschleudern. Den „Drang nach Permanenz und Härte“ repräsentieren im Werk Hoffmanns alle jenen braven Bürger, die sich nicht „vexieren“ lassen wollen (Rüdiger Safranski, E.T.H. Hofmann, Das Leben eines skeptischen Phantasten). „Alle Existenz ist Kampf und geht aus dem Kampfe hervor. In einer fortsteigenden Klimax wird dem Mächtigen der Sieg zuteil, und mit jedem unterjochten Vasallen vermehrt er seine Kraft“ (Alban der Magnetiseur). Erst Atlantis gewährt die Befreiung vom Kämpfenmüssen, doch in einem Milieu der Körperlosigkeit.
Ein Albtraum für Kristina Marlen, die sich auf dem Teppich wälzt, um sich zu vergewissern, dass er noch Grenzen hat. Niedergelegt – „brauche Gewicht auf meinem Körper“. Dirty Talk mit der Katze, wo Kunden keinen Sex mehr haben dürfen wegen Kontaktsperre. Nähe zu geben in einer berührungsarmen Welt, das war immer verdienstvoll. Doch nun heißt es auf Abstand gehen und „all das ist für mich, wie wohl für viele anderen auch, ein Albtraum. Ich bin paralysiert und jeden Tag habe ich das Gefühl, meine Geistesgegenwart geht mir ein Stück verloren.“ Bewegung, handwerkliches, körperliches Tun ist in jeder Lebenszeit gut, gesund und richtig. Jetzt natürlich erst recht. Es ersetzt aber nicht den notwendigen Körperkontakt, das ist eine ganz eigenständige Dimension. Dabei kommt das Schlimmste erst noch. Keineswegs stehen wir kurz vor dem Turn-around, sondern ganz am Anfang der Coronakrise. Jeden Tag werden es mehr, Infizierte, Fälle, Tote, Masken, Särge, Verluste, Niederlagen. Rechnerisch, am 20. April, wenn die Kontaktsperren gelockert werden könnten, 450.000 (beschränkt national).
Die Zahl der Todesfälle wird sich dramatisch entwicklen. Abschiede werden nicht mehr wie gewohnt stattfinden. Die befriedete und arbeitsteilig-funktionell durchorganisierte bürgerliche Gesellschaft mit ihren beherrschten, an-sich-haltenden Menschen, mit ihren berechenbaren Identitäten, wird auf die Probe gestellt. Unsere, im Inneren eine nach unten tretende, immer brutaler werdende Ego-Gesellschaft, hat sich nach Außen kein Stückchen respektvoller verhalten. Das hat uns wenig betroffen und schon gar nicht getroffen. Und sind nicht die Loser letztendlich doch selbst an ihrem Schiksal schuld? Wann erinnern wir uns, dass der globale Süden einen noch wesentlich höheren Preis bezahlen wird als wir, und erahnen bestenfalls die Besorgnis einer Supermarktkassiererin, der wir jetzt noch einen steuerfreien Bonus gönnen, im Zweifelsfall das Beatmungsgerät nicht zu bekommen. … Herrenreitertum und Rassismus verschwinden in einer Krise nicht – im Gegenteil (werden hier Gedanken von Helmut Däuble von der pädagogischen Hochschule Ludwigsburg aufgegriffen). Inzwischen erreichen uns Berichte von Marllow Kurdi aus Halberstadt und aus Moria auf Lesbos und reichern unsere Nachrichten an. Welche Erlösung, nicht mehr von Fußball und Formel I geplagt zu werden. Welches Leid, wenn Abstand nicht mehr möglich ist und die Versorgung in Gefahr.
Ein Bier zum Trost. Ein Martini für den Schmerz. Die Wunden lecken. Zum Glück waren die Verluste bislang noch nicht groß. Die Kapitulation als ein Indiz des zivilisatorischen Fortschritts. Die Möglichkeit, die Schlacht oder den Krieg vor der vollständigen Vernichtung zu beenden. Im Eigeninteresse der Sieger, die damit auch ihre eigenen Verluste begrenzen können. Derweil die Verlierer zwischen Verlust der Ehre und dem ihres Lebens entscheiden müssen. Aber was ist schon Ehre, gegenüber Liebe und Lust, Selbstvertrauen und Selbstrespekt. Sind diese erstmal abhanden gekommen, fehlt jeglicher Mut, das Feld erneut zu bestellen. Der Brunnen versiegt. Die Nutzlosigkeit macht sich breit. Wenn es still wird und nur noch die Sonne strahlt. „Wir hatten ein Haus, wo täglich die Gestorbenen ganz entkleidet aus den Fenstern des ersten und zweiten Stockes herabgeworfen wurden“, … „wir gingen darauf zu, und siehe da ein Russe, dem beide Füße auf das jämmerlichste zerschossen waren, so daß alles von geronnenem Blut klebte, saß ganz gemütlich aufrecht und zehrte von einem Stück Kommisbrot“. Ganz offensichtlich ohne moralisches oder politisches Engagement. Die reine Ästhetik des Schreckens als Reaktion auf das Grauen. Mit dem Glas Rotwein in der Hand über das Schlachtfeld spazieren. Verloren zu sein, verloren zu haben, verloren gegangen. Im Scheingefecht geschlagen. Alleine – ganz zum Schluß.
Um die Niederlagen besser zu verkraften und uns für die zukünftigen Schlachten zu wappnen, sollten wir viel mehr auf die Stärkung unseres Immunsystems achten, hoch die internationale Freisitz-Solidarität. Gutes Essen, ausgiebig schlafen, viel Bewegung, das Tun, was wir schon immer wollten und immer schön daran denken: Kein Leben ohne Liebe. Und um nochmal die Worte von Kristina Marlen aufzugreifen: „Haltet Abstand, ihr Lieben. Macht euch heiße Gedanken. Erzählt sie euch. Masturbiert. Gegenseitig zuschauen ist auch geil übrigens. Orgasmen und ein lustvolles Sein sind gut für das Immunsystem. Angst ist es nicht. Bitte bleibt gesund!“.