Die Überschriften meiner Blogs seit Januar 2020 lauten Weihnachtsgrüße, Trockenbauspachtelmasse, Zuversicht, Vergessen, Zwischenbericht, Mit Sicherheit, Stillstand, Niederlage, Steuern. Wie soll sich nun Sonderposten in diese Reihe fügen? Für alle, denen das bis heute noch nicht aufgefallen sein sollte: Mein Blog besteht nicht nur aus den Überschriften und dem kurzen Absatz gleich darunter, sondern aus einem etwas längeren Text, der sich zeigt, wenn der Cursor über den Titel gleitet und der Link sich durch einen Klick auf die linke Maustaste öffnet. Für die einen mögen meine Texte zaghafte Versuche darstellen, meine wirren Gedanken mittels Sprache zu sortieren. Andere werden meine Unfähigkeit erkennen, frei zu schreiben und Geschichten zu erzählen. Dass ich mich nicht an grammatikalische Regeln halten kann und meine Kommasetzung mangelhaft ist, haben mir schon meine Lehrer*innen bescheinigt. Es hat sich in all den Jahren nicht viel geändert. Kein Anzeichen für lebenslanges Lernen, kein Erfolg durch stetige Übung. Irgendwie scheint sich ein Teil von mir zu weigern, Sprache als etwas anderes als eine Aneinanderreihung von Zeichen zu betrachten und den Text als solches als Collage zu begreifen. Zeichen, wie zum Beispiel Bilder, Wörter, Gesten und Gerüche, vermitteln Informationen aller Art in Zeit und Raum. In Zeichenprozessen (Semiosen) werden Zeichen konstituiert, produziert, in Umlauf gebracht und rezipiert. Ohne Semiose wären Kognition, Kommunikation und kulturelle Bedeutungen nicht möglich.
Die Zeiten strengen mich an und auch das Schreiben fällt mir nicht leicht. Lieber lese ich und sammele Zeichenfolgen, die zu deuten mir mein Spielplatz ist. In Zeiten von #Corona, wo die einen ohne Auftrag sind und die anderen unter Streichelmangel leiden, wo die Welt ganz eng zusammenrückt aber Grenzen wieder wachsen wollen, schreiben aufgeweckte Geister viel und haben stets neue Erkenntnisse zu teilen. In Informationen drohen wir zu ersticken und meinen es doch gut mit uns und den Alten, den Dementen und den Hochrisikogruppen. Die Kinder und die Alleinerziehenden wollen wir gerade mal vergessen. Die Politik trägt schwer an der großen Verantwortung und es lauern die Versicherungsanwälte schon auf die Fehler, die unvermeidlich gemacht werden müssen, wenn Hygienekonzepte fehlen. Die Autolobby scharrt unruhig mit den Füßen und will den Betrieb wieder hochfahren. Die Wirtschaft lahmt betrüblich und doch müssen die Mühlen mahlen, weil es sonst kein Mehl gibt und der Bäcker das Backen verlernen könnte. Aus Solidarität mit den Frittenbuden müssen wir mehr Pommes Frittes essen.
Das Volk wird wachsam sein und unerbittlich zur Verantwortung ziehen, wer Lügen und Laster verbreitet. Schuld haben stets die anderen, seien es Chinesen oder Virologen, die Eliten, die Grünen und die Presse. Nur selbst ist wer im Recht, weiß gewiss und wenn nicht wirklich dann doch noch eher und bisweilen sogar am besten Bescheid. Wir wollen unser Leben wiederhaben. Ganz normal, wie eh und je und uns bloß nicht beteiligen müssen, wenn es um die Gestaltung der Welt geht ohne Strassen und Flugverkehr – aber Urlaub und Vergnügen muss sein, am Wochenende eine Spritztour, wenns sein muss auch solar da Benzin zwar nicht knapp und ganz billig zur Zeit aber eben nicht hip ist. Ausgangssperren hat es nie gegeben wo ich lebe aber viele anderen hatten sogar darunter schon zu leiden. Für wen lohnt es sich gerade, um in den Krieg zu ziehen?Wer beteiligt sich an Demonstrationen? Mensch, Leute, bleibt zuhause. Fangt doch mal was sinniges an mit eurer Zeit. Geschenkt. Atempause. Sonderposten. Da macht sich doch was.
Digital warriors rüsten auf für die große Schlacht um die Datenbanken. Schulen schlagen sich auf die Seite von Microsoft, Bill Gates wird von den Verschwörungsbünden gejagt und zum Scheiterhaufen geführt. Dabei könnten wir uns gerade jetzt eine Entschleunigung gönnen. Hat es nicht lange genug geheißen, wir kämen nicht mehr ausreichend zur Ruhe. Warum nun nicht einfach mal auf der faulen Haut liegen und die unmittelbare Umgebung besser kennenlernen? Wieso juckt es denn alle schon wieder im Hintern? Weil die Tourismusbranche schwer leidet sollen die Fernverbindungen wieder geöffnet und die Reiseindustrie die Schlote unter Feuer setzen. Ist die Atmosphäre noch nicht aufgeheizt genug? Findet die Hotelbranche kein anderes Handwerk oder Kunstwerk und etwas Aufrechtes zu schaffen. Strände und Bergwelten könnten an Attraktivität wieder gewinnen, wenn sie nicht so sehr von Menschen überlaufen werden. Hotels könnten Wohnraum bieten – habe gehört der würde gerade in urbanen Zentren im Mangel vorliegen. Wir könnten das Bauen für eine zeitlang sein lassen und gemeinschaftlich die Felder beackern stattdessen. Sanieren statt roden, gärtnern statt pflastern, schweigen statt zoomen.
Sendezeit. Sonderposten. Saatgut. Setzling. Sicherheit. Selbstlos. Semmelbrösel. Die Menschen haben eine Sehnsucht danach, dass ihnen jemand sagt, was sie tun sollen. Ganz offensichtlich gibt es auch unabhängig von der Pandemie ein Gefühl der Unsicherheit in der Gesellschaft. Dass wir unseren Lebensstil ändern müssen. Diese grenzenlose Mobilität, der Umgang mit den Ressourcen, dass wir immer alles auf unserem Frühstückstisch haben wollen – das wird auf Dauer nicht mehr gehen. Die Frage ist, ob wir das alles ganz schnell wieder vergessen, wenn wir zum Normalmodus zurückkehren. Wie diese Krise enden wird, weiß niemand. Doch in der Krise liegt eine Chance: Ob aber Millionen Menschen tatsächlich erkennen, dass die bestehende Wirtschaftsweise eine Fehlsteuerung darstellt, wage ich dennoch zu bezweifeln. Der Staat wird dafür sorgen, dass es uns allen gut geht, wird Kranke in Quarantäne schicken und die Freiheiten soweit einschränken, dass der Betrieb wieder anlaufen kann. Die Freiheit ist ansteckend und die Grundrechte werden nicht abgeschafft – nur in der Auslegung werden wir etwas innovativer sein müssen.
Unsere Freiheit leben wir aus im virtuellen Raum, wo die Kontrolle ganz unbemerkt vonstatten gehen kann und der Wettbewerb um die persönlichen Daten zum Cyber-war eskaliert. Mono-Synths, Drum-Machines, Akkordfolgen, Arpeggiatoren. Mixing und Mastering sind delikat und ermöglichen es dem Künstler, überhaupt erst die vielen Input-Lines zu bändigen. Die Krise treffe die ganze Gesellschaft. Von großer Solidarität ist die Rede. Darum sind vielfältige Perspektiven in die Abwägungsprozesse einzubeziehen. Von 26 Autor*innen der Studie sind 24 Männer. Es gibt mehr Thomase und Jürgens (hiervon jeweils drei) als Frauen (insgesamt nur zwei). Und keine Expert*in ist unter 50 Jahre alt. Da stehen die Vorerkrankten und staunen in die Runde. Sie erhoffen sich sehnlichst mehr Sicherheit und Lebensqualität, mehr Teilhabe und Freizügigkeit durch ein medizinisches Frühwarnsystem. Ihnen gegenüber drehen die Fitnessbegeisterten, die sich wegen ihres zumindest gefühlt überdurchschnittlich gesunden Lebensstils perspektivisch Beitragsrabatte bei der Krankenkasse versprechen, ihre Runden. Gemeinsam ist allen, dass sie männlicher, vermögender und besser gebildet als der Bevölkerungsdurchschnitt sind.
In der Armut wächst die Sehnsucht nach Sonderposten. Resterampe. Schmuggelware. Steuerfrei. Über die Grenzen kommt wer eine Sondergenehmigung vorweisen kann oder Geld zur Hand hat. Aber bloß nicht die Finger schmutzig machen. Den Sonnenschein genießen. Den Schmetterlingen und Bienen beim Tanzen zusehen. Mit der Nachbarin im Busch verschwinden und den Bauchnabel auspinseln. Einzig und allein im Wettbewerb um die freien Gedanken kann Sorglosigkeit sein Heimatspiel machen. Gewinnen ist nicht sein Ziel sondern Zeit zum Halt zu bringen und die Station besessen zu haben. Auf der Bank ist Platz für drei und einer kommt noch mit dabei. Wir bleiben etwas länger als uns lieb ist, dafür haben wir es wärmer und ertragen gemeinsam den aufkommenden Durst. Die Elster schnattert, die Amseln picken sich emsig durch den Garten und das Rotkehlchen kommt mit dem Füttern der fiepsenden Jungen nicht nach. In den kommenden Jahren werde ich mich mit dem Gefieder wohl noch anlegen müssen, wenn ich meinen Gemüse- und Obstanbau wieder aufwecken muss. Müsste ja sonst noch die Singvögel mitfüttern. Vorläufig genieße ich aber die Biodiversität, lasse ab von meinen anderen Plänen, lege die Zeitung beiseit, die mich doch nur an allzuviel Unheil in der Welt erinnert. Schlecht muss es wohl in erster Linie den anderen gehen. Ich habe es gut hier auf meinem Posten – mein Sonderposten.